Aus der „Affäre Hildebrand“ ist längst eine „Affäre Blocher-Köppel-Lei-Schmid“ geworden. Auf der Strecke bleibt neben der politischen Kultur ein IT-Experte, der sich einspannen liess – und dann wie eine heisse Kartoffel fallen gelassen wurde.
Zunächst tönte es wie ein Musterfall in Sachen Whistleblowing: Ein IT-Experte der privaten Bank Sarasin (Filiale Zürich) entdeckt bei der Arbeit eine fragwürdige Transaktion auf dem Privatkonto des Direktors der Schweizer Nationalbank, Philipp Hildebrand. Er meldet den Sachverhalt der internen Meldestelle, die aber keinen Anlass sieht, aktiv zu werden. Damit unzufrieden, macht der IT-Experte mit seinem Smartphone Fotos von Screens, auf denen die fraglichen Transaktionen angezeigt werden, und kontaktiert in der Folge einen Anwalt, den er aus Schulzeiten kennt.
Bis zu diesem Moment könnte man noch Sympathie für den wackeren, kleinen Angestellten und sein Gerechtigkeitsempfinden haben. Bis einem bei genauerer Betrachtung ein Übermass an Zufällen auffällt. Und man merkt, dass dies schlicht zu viele Zufälle sind. Als da wären: Roger Köppel von der Weltwoche führt gegen den SNB-Präsidenten Philipp Hildebrand seit geraumer Zeit eine überaus schrille Kampagne, die in Bezeichnungen wie "Falschmünzer" gipfelt. Der Vorwurf: Durch die Ende August beschlossene Anbindung des Schweizer Frankens an den Eurokurs verschleudere die Nationalbank Volksvermögen und begebe sich in unnötige Abhängigkeit der Europäischen Zentralbank (exportorientierte Unternehmen dürften dies etwas nuancierter sehen, Herr Köppel).
Mutiger Whistleblower oder williger Helfershelfer?
Auch wenn sich Köppel bis zum heutigen Tag weigert, über die Besitzverhältnisse an der Weltwoche Auskunft zu geben (Tettamanti, Robinvest und wer noch mehr?) – diese Frage war mir vor über 5 Jahren einen Blog-Eintrag wert, erlaubt die redaktionelle Linie einige Rückschlüsse. So konsequent, wie sich die Weltwoche zum Sprachrohr der SVP Zürcher Prägung entwickelt hat, beantworten Köppel und seine Crew die Frage eigentlich selber. Und just jene Weltwoche bekam die Insider-Informationen aus der Bank Sarasin exklusiv zugespielt. Mit denselben Informationen kreuzte auch ein ehemaliger Bundesrat kurz nach seiner Wahl zum Nationalrat bei Bundespräsidentin Micheline Calmy Rey auf. Nicht ein, sondern drei Mal. Die Sache schien ihm wichtig - Chefsache, sozusagen.
Von Doppelmoral und gestohlenen Kontounterlagen
Von wem aber hatte Christoph Blocher die entsprechenden Dokumente erhalten, die nur durch einen Gesetzesverstoss die Bank Sarasin überhaupt verlassen konnten? Er bekam sie vom Schulfreund des IT-Experten, seines Zeichens Rechtsanwalt. Nun sollte man aber wissen: Sowohl der IT-Experte wie auch der Rechtsanwalt sind Mitglieder der SVP Thurgau – und nein, in der Schweiz sind Parteimitgliedschaften nicht die Regel. Der Rechtsanwalt sitzt im Grossen Rat des Kantons Thurgau und in der Einbürgerungs-Kommission der Stadt Frauenfeld (als Weinfelder, hat die SVP in Frauenfeld selbst keinen ausreichend scharfen Ausländer-Fresser gefunden?) – und der Herr ist als Hardliner bekannt. Ich selbst kenne ihn aus Gymi-Zeiten, ... [Passage auf Wunsch von Hermann Lei und mangels Beweisen meinerseits gelöscht].
Journalist des Jahres missachtet Standesregeln
Die Weltwoche musste inzwischen zugeben, nie direkt mit dem Informanten gesprochen zu haben. War zuerst von einem Kundenberater der Bank Sarasin die Rede, krebste man danach auf einen IT-Experten zurück – und kam damit der Wahrheit schon etwas näher. Noch näher kam Köppel der Wahrheit, als er nochmals einen Schritt zurück machte: Man habe nur mit dem Anwalt des IT-Experten gesprochen, als Mittelsmann. Aber dennoch halte die Weltwoche an den Vorwürfen fest. Zudem musste Urs Paul Engeler, für die mediale Auftrags-Hinrichtung von Bruno Zuppiger im Zuge der Erbschafts-Affäre soeben zum "Journalisten des Jahres" in der Schweiz gewählt, zugeben, dass er die Angaben des IT-Experten nicht durch weitere Quellen bestätigt bekam. Normalerweise gilt ein Sachverhalt dann nicht als "wasserdicht" und kommt nicht in Druck. Aber was ist bei der Weltwoche schon normal, wenn deren Schreiber jemandem im Visier haben, der Blocher nicht genehm ist?
Schlammschlacht nach US-Vorbild
Trotz hinreichenden juristischen Wissens machen ihn diese aber nicht darauf aufmerksam, dass er bereits das Bankkundengeheimnis gebrochen habe und die entsprechenden Bilder ganz schnell löschen sollte. Statt dessen nehmen sie Kontakt mit Blocher und der Weltwoche auf, spielen diesen gezielt die rechtlich überaus heiklen Informationen zu und warten, wie die SVP-Strategen an einer medialen Stinkbombe gegen den "Falschmünzer" und vermeintlichen Landesverräter Hildebrand basteln. Bei der Weltwoche wird mit Urs Paul Engeler die schärftse Recherche-Allzweckwaffe auf den Fall angesetzt: Nach Zuppiger ist ein nächster Skalp fällig. Kurz vor Weihnachten bringt auch der Blick die Geschichte von den Devisentransaktionen des Nationalbank-Präsidenten auf der Titelseite, und von da an hat die Schweiz ihr Thema in der nachrichtenarmen Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönigstag.
Wie weiter? Versuch eines Fazits
Ob sich Blocher bei seiner Aktion auf die parlamentarische Immunität berufen kann, erscheint mir genauso fraglich. Für mich hat die SVP in Verband mit der Weltwoche für die Schweiz Neuland in Sachen Schmierenkampagnen betreten. Diese Art von perfidem Vorgehen unter Zuhilfenahme verbotener Praktiken kennt man aus Grossbritannien, vor allem aber aus den Vereinigten Staaten. Die Murdoch’sche News Corporation und der ganze Skandal um selbige lassen grüssen. Und darum haben wir es aus meiner Sicht auch nicht mehr mit einer Causa Hildebrand zu tun, sondern mit einer Causa Blocher-Köppel-Lei-Schmid. Auf der Strecke bleibt dabei der IT-Experte: Der soll sich in die Enge getrieben gefühlt haben (zurecht, denn seine Anonymisierung war gestern Abend dank Blick und Handelsregister passé) und sich nach einem Suizidversuch in psychiatrischer Behandlung befinden.
Wenn das kein Grund für einige der Herrschaften ist, mal über ihr Handeln und ihren Umgang mit Menschen, ob politischen Gegnern oder willigen Helfershelfern nachzudenken, was dann? Der Zweck heiligt die Mittel nicht, und die schweizerischste aller Parteien (in der eigenen Sichtweise) sollte nicht zu Tricks aus der halblegalen bis illegalen Schublade greifen, um politische Ziele zu verfolgen oder missliebige Amtsträger anzuschwärzen. Die SVP und die Weltwoche sind der Schweiz einige Erklärungen schuldig. Transparenz ist gefragt, bezüglich der Motive, der Mechanismen - und gerne auch der Besitzverhältnisse bei der Weltwoche. Oder wäre es, denn da wird nichts kommen. Keine Reue, keine Einsicht, weiter so und Vollgas ins Verderben. Man darf gespannt sein, wie es dabei um die Kollateralschäden bestellt sein wird, welche die unheimlichen Patrioten dabei in Kauf nehmen.
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