Der vermeintlich grösste Radsportler aller Zeiten darf nun auch offiziell als systematischer Dopingdelinquent bezeichnet werden – eine späte Genugtuung für all jene, die ihm zu widersprechen wagten, als er noch unangreifbar schien.
Als jüngster Profi-Weltmeister aller Zeiten und angriffiger Spezialist für Eintagesrennen war mir Lance Armstrong sympathisch. Als er dann zuerst den Hodenkrebs „besiegte“ und sich danach anschickte, sich neu zu erfinden und zum Rundfahrten-Spezialisten umzuformen, schwand diese Sympathie. Der hemmungslose Personenkult sorgte für immer mehr Distanz, sowieso nach dem unnötigsten aller Comebacks. Nun hat Armstrong in der Nacht auf den Freitag die Frist ungenutzt verstreichen lassen, um die Dopingvorwürfe der amerikanischen Agentur USADA vor Gericht klären zu lassen. Offiziell liess er verlauten, genug sei genug und er möge nicht mehr weiter kämpfen. Das passt so gar nicht zum verbissenen Armstrong, der seine Kritiker wahlweise persönlich wieder einholte wie damals den bedauernswerten Filippo Simeoni, vor den Kadi zerrte wie David Walsh und Pierre Ballester, Autoren des Buchs "L.A. Confidential", oder bei Pressekonferenzen gleich persönlich verbal angriff wie Paul Kimmage.
Versuch der Schadensbegrenzung
Für mich ist klar: Armstrong ist nicht am Ende seiner Kräfte, er hat den Weg der Schadensbegrenzung gewählt. Im Zuge eines Gerichtsverfahrens wären all die Aussagen unter Eid, mit denen ehemalige Teamkollegen aus den Zeiten bei US Postal ihn schwer belasteten, in die Medien gekommen. Nicht als Randnotiz, sondern in fetten Lettern. Als Folge davon hätte er sich nicht nur von seinem Krebs-Hilfswerk Livestrong distanzieren müssen, er hätte auch seine politischen Ambitionen vergessen können. Insofern bedaure ich persönlich, dass Armstrong das Handtuch geworfen hat.
Im Communiqué, in dem er seine Aufgabe verkündete, strickt Armstrong fleissig an seiner Verschwörungstheorie weiter: Er sei ein unschuldiges Opfer einer Hexenjagd, unbarmherzig vorangetrieben vom krankhaft ehrgeizigen Direktor der USADA, Travis Tygart, der damit auch noch Steuergelder auf sinnlose Art vergeude. Ein bemerkenswertes Exempel für den Mechanismus der Projektion: Denn wenn einer krankhaft ehrgeizig war und seine Kritiker persönlich fertig zu machen suchte, dann war das während eines Jahrzehntes Lance Armstrong selbst. Tygart tut nur seine Pflicht als Direktor der USADA.
Wichtiges Signal an die Internationale der Doper
Über die Aberkennung der sportlichen Erfolge Armstrongs kann man mit gutem Recht geteilter Meinung sein. Seine Gegner waren kaum sauberer unterwegs als er selbst, und wenn der jeweils Zweitklassierte für ihn als Tour-Sieger nachrücken soll, kommt manch ein Doper zu ebenso späten wie unverdienten Ehren. Weit wichtiger ist das Signal, das an Armstrong und andere Doper ausgesandt wird: Ihr mögt kurzfristig viel gewinnen und viel verdienen, ihr könnt den Kontrolleuren eine Weile lang auf der Nase rumtanzen, aber mittel- bis langfristig fliegt ihr auf. Und dann könnt ihr schauen, wie es weiter geht mit euch.
Meine Wunschvorstellung wäre, dass der ganze pharmazeutisch versaute Haufen zusammen vor die Medien tritt und klar Tisch macht: Das waren die „Gebräuche“ der EPOche, dies und jenes haben wir gemacht – und so kann es nicht weiter gehen. Damit hätte der besagte Haufen dem Radsport und jungen, aufstrebenden Talenten zumindest einmal einen Gefallen gemacht. Das Schweigen der belämmerten Lämmer, vorexerziert von Alberto Contador am Rande der Vuelta, weist aber in die entgegen gesetzte Richtung: Die eine Krähe hackt einer anderen kein Auge aus, die Omerta lebt wie eh und je.
Grossreinemachen tut Not - auf allen Stufen
Es ist an der Zeit, dass die UCI zuerst einmal selbst von belastetem Personal befreit wird: Dass UCI-Präsident Pat MacQuaid als rechte Hand von Hein Verbruggen tief in die Schweinereien der Armstrong-Ära verstrickt ist, ist das eine. Dass der Herr wegen der Teilnahme an Radrennen im damals international isolierten Apartheids-Südafrika vom IOC lebenslang gesperrt worden ist, aber dennoch in London Medaillen ausreichte, zeigt, dass das Problem längst nicht nur den Radsport betrifft. Dass sich die UCI hinter Armstrong und damit gegen die WADA und die USADA stellte, war ein weiterer, schwerer Fehler der aktuellen Verbandsführung – einer zu viel.
Sobald die UCI dank personeller Wechsel wieder glaubwürdig ist, kann sie sich daran machen, die Reihen der Quacksalber und Kurpfuscher zu lichten, die von Team zu Team ziehen und dabei jedes Mal eine Dopingspur hinter sich herziehen: Ob Ryckaert, Fuentes, del Moral, Celaya oder Ibarguren, das Problem der skrupellosen Sportärzte ist evident und betrifft längst nicht nur den Radsport. Als nächstes anzugehen ist das Problem der selbst schwer belasteten und nicht einsichtigen Teamchefs vom Schlage eines Bruyneel, die Doping für eine erhaltenswerte Tradition im Radsport halten. Auch solche Figuren sind nicht mehr haltbar. Dass es auch anders geht, zeigt Jonathan Vaughters in einem Meinungsartikel in der "New York Times" auf (LINK).
Daneben ist weiterhin gegen dopende Sportler und ihre Netzwerke vorzugehen. Italien zeigt dabei einen möglichen Weg auf: Doping betrifft längst nicht nur die Sportjustiz. Doping ist nicht möglich ohne Umgehung der Heilmittelgesetze, ohne gefälschte Rezepte und betrügerische Abrechnungen, ohne Streuerhinterziehung, Schmuggel und schwarze Vertriebskanäle. Darum ist es an der Zeit, die Dopingproblematik auch auf der strafrechtlichen Schiene anzugehen. Was dies für Resultate zeitigen wird, dürfte die "Mantova-Affäre" in Italien zeigen. Das alles im Interesse eines glaubwürdigen und vermarktbaren Sportes. Und im Interesse der Gesundheit der Aktiven und einer Chancengleichheit, die nicht in einem pervertierten Sinne auf Pharma-Missbrauch und Skrupellosigkeit beruht.
Winter Mood
vor 3 Tagen
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