Mittwoch, 3. April 2013

Breitseite: Neues aus Neidhammelhausen

Im Umfragen zur Lebensqualität schneidet Zürich immer wieder ausgezeichnet ab, und auch das Lohnniveau ist in der Limmatstadt so hoch wie kaum woanders. Wer meint, dass dies die Zürcher zu entspannten, grossmütigen Menschen macht, irrt aber gewaltig.

Eines der grössten Reizthemen in Zürich ist immer wieder das Velo: Autofahrer wie Fussgänger hassen Velofahrer mit fast schon religiösem Furor. In den Augen vieler Mitbürger sind Velofahrer Rüpel, die sich an keinerlei Gesetze halten, sich und vor allem andere gefährden und zudem nichts, aber auch wirklich gar nichts zu den Steuereinnahmen beitragen. Denn Velofahrer sind bekanntlich auch ein asoziales Gesindel, zur Erwerbstätigkeit unfähig. Mangels Einkommen bleibt diesem radelnden Subproletariat daher keine Wahl, als auf dem Arme-Leute-Vehikel der Volksrepublik China von vor zehn Jahren herum zu gurken. Und dabei wie gesagt alle anderen, friedliebenden und entspannten Zürcher zu nerven, nein schlimmer noch: mutwillig zu gefährden. Selig sind die Armen im Geiste und ihre betonierten Vorurteile.

Sympathische Idee, ungeniessbare Reaktionen.

Als die Stadt Zürich anfangs Woche ankündigte, am Limmatquai zwei spezielle Holztische aufzustellen, die als Drive-In-Café für Velofahrer dienen sollen, ging ob dieser eigentlich ja durchaus sympathischen Idee sofort das geballte Geklöne der vereinigten Bünzlis von Neidhammelhausen los: Jetzt würden diese Velo-Anarchos auch noch belohnt von der linksgrünen Stadt, und das Ganze werde natürlich wieder von hart arbeitenden Automobilisten finanziert, wie immer. Weil eben, Velofahrer arbeiten ja nicht und zahlen darum auch keine Steuern, ist ja klar. Die vereinigten Bünzlis steigern sich in den Kommentaren in einen regelrechten Furor, der einem einen kleinen Vorgeschmack vom äusserst aggressiven Klima gibt, das auf Zürcher Strassen leider seit Jahren herrscht.

Der Tisch des Anstosses - einer von Zweien.

Das Velo ist auch ökonomisch erste Wahl
Um es einmal klipp und klar zu sagen: Das Fahrrad ist in urbanen Räumen nicht nur die ökologisch logische Wahl in Sachen Mobilität, es sticht auch nach ökonomischen Kriterien alle anderen Verkehrsträger locker aus. Man ist weit schneller unterwegs als Fussgänger, weit flexibler als mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und steht vor allem nicht im Stau mit den Blechkutschern und deren Statussymbolen - zumindest, so lange einem diese nicht mutwillig die Gasse rechts zustellen, wo zwischen Blech und Trottoir eigentlich eine Lenkerbreite Platz gelassen werden müsste, so steht das zumindest im Strassenverkehrsgesetz. Auch diese lustige, gelb gestrichelte Markierung am rechten Fahrbahnrand dient nicht ausschliesslich dekorativen Zwecken. Zudem braucht ein Velo auch keine 15 Quadratmeter Abstellfläche - ein Bruchteil davon reicht locker aus. Und letztlich stellt sich die Frage: Wie viele Kilos will man bewegen, um den eigenen Arsch zu bewegen? 15 Kilogramm wie beim Velo? 150 wie beim Scooter? Oder 1500 und mehr wie bei den Karren?


Woher also kommt der befremdende Hass, der Velofahrern immer wieder entgegen schlägt? Nun, dass ein Teil der Velofahrer sich tatsächlich nicht an Verkehrsregeln gebunden fühlt, ist ein Faktor. Ist ja auch mühsam, mit einem Fixie ohne Bremsen an einer Ampel oder Fussgängerstreifen anzuhalten. Und ja, es gibt sie, die Randständigen und Junkies auf klapprigen Fahrrädern, die unsicher durch Zürichs Strassen gurken. Aber da auch Autofahrer und Fussgänger die Gesetze im Strassenverkehr eher flexibel und grundsätzlich zu ihren Gunsten auslegen, taugt diese Erklärung nicht. Auch der Neid allein, nicht so schnell voran zu kommen wie ein Velofahrer, sondern ein Gefangener seines Statussymbols im Feierabendstau zu sein, kann die Abneigung nur zu einem Teil erklären.

Nullsummen- und Rudel-Denken
Ich erkläre mir den Hass mit einem Nullsummen-Denken: Für viele Autofahrer geht jede Verbesserung der Situation für Velofahrer per Definition zu ihren Lasten. Mehr Platz für Velofahrer heisst weniger für Autos, und weil es nicht weniger Autos gibt, heisst dies mehr Stau. Und damit mehr Frust. Und weil sie meinen, als erste im Sandkasten gespielt zu haben, beanspruchen sie für sich auch das Recht, bestimmen zu dürfen, wer ausser ihnen noch im Sandkasten aka Strassenverkehr mitmachen darf. Umgekehrt wird jede Verschlechterung der Situation für Autofahrer automatisch mit der Förderung des Langsam-Verkehrs in Zusammenhang gebracht. Der Langsamverkehr wird so zum Blitzableiter für den Frust der Auto-Immobilen im Stau, Tag für Tag. Denn den Stau tun die sich jeden Tag an, und werden dabei immer verbitterter.

Parade der Unsachlichkeit - oder was zwei Holztische anrichten können.

Bis die vereinigten Bünzlis aus Neidhammelhausen die ganze Pisse und Galle, die sich in ihnen angestaut hat, in Form von ebenso unsachlichen wie unsäglichen Kommentaren loswerden können. Bloss ist diese Katharsis nicht nachhaltig, im Gegenteil: Sie vergiftet das Verkehrsklima weiter, sie verhärtet die Fronten. Und das führt dann dazu, dass selbst sympathische, kleine Gesten wie das Drive-In-Café für Velofahrer am (nota bene autofreien) Limmatquai sofort als Zumutung aufgefasst werden, als Verhöhnung der tagtäglich schikanierten Autofahrer, die mit ihrer fleissigen Erwerbsarbeit doch erst das Funktionieren der Stadt ermöglichen. Es ist ein Jahrmarkt der Unbelehrbaren und Selbstgerechten, und die Vorurteile, zu Beginn dieses Posting geschildert, sind deren Krücken.

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