Sonntag, 28. April 2013

Von blutenden Herzen - Die neuen Leiden der Doris F.


Eines kann man der Stadtzürcher Politik nicht absprechen: Unterhaltungspotenzial. Nach der Wahl von Richard Wolff in den Stadtrat verzweifelt Doris Fiala von der FDP öffentlich ob der Stimmberechtigten in der Stadt, die mehrheitlich links der Mitte stehen. Dabei zeigt sich: Die Bürgerlichen politisieren an einer weniger ideologisch gepolten Generation junger Urbaner vorbei.

Die jüngere Bevölkerung von Zürich lässt sich nicht in Schablonen drücken: Viele verzichten bewusst aufs Auto, weil das Kosten-Nutzen-Verhältnis für innerstädtische Fahrten nun einmal nicht stimmt. Zugleich sind aber auch viele für liberalisierte Ladenöffnungszeiten, und Gewerkschaften haben in der Stadt der Ego-AGs einen eher schweren Stand. In gesellschaftspolitischer Hinsicht sind die Stadtzürcher ohnehin ausgesprochen aufgeschlossen, von gleichgeschlechtlichen Ehen bis zu Betreuungsangeboten für Kinder. Und vom Aushungern des Staates halten sie eher wenig, weil das auf Kosten der Infrastruktur geht. Das behaupte ich nicht einfach so, das folgere ich aus dem Ausgang diverser Sachabstimmungen. Und das bestätigen so auch anerkannte Experten wie Claude Longchamp und Andreas Ladner.

Volksnah dank iPhone oder allein auf weiter Flur? Doris Fiala. (Bild: Keystone)

Bürgerliche politisieren an der Stadtbevölkerung vorbei...
In den Reihen der beiden bürgerlichen Parteien FDP und SVP sucht man aber so positionierte Exponenten vergeblich. Statt dessen dominieren bis in die CVP hinein Vertreter des Bankensektors, der Versicherungen und Wirtschaftsanwälte. Für Probleme wie das Fehlen erschwinglicher Wohnungen in Folge der Aufwertung von Quartieren oder mangelnde Strukturen zur Tagesbetreuung von Kindern fehlt dieser Art von Bürgerlichen jedes Verständnis. Ebenso für zu viel bezahlte Krankenkassen-Prämien, die nicht rückvergütet werden. Dafür wehren sie sich bis aufs Blut für 45 Parkplätze hier und 50 Meter Auto-Abbiegespur dort. 

Genau das sind aber Probleme, die Stadtzürchern im Unterschied zu mit dem Auto in die Stadt Pendelnden schlicht nicht interessieren. Auch der Steuerfuss fällt im Vergleich zu wegen gieriger Vermieter rasant steigenden Mieten finanziell nur am Rande ins Gewicht. Darum verlieren die Bürgerlichen nicht nur Sitze im Stadtrat, sondern auch ihre politische Gestaltungskraft in der Stadt selbst. Statt das Zürich des 21. Jahrhunderts mit zu gestalten, werden sie nur als Nostalgiker und Störfaktoren wahr genommen, als Flugsand ohne Einfluss auf das Funktionieren der Maschine. Manchmal gelingt es ihnen gar, mit Hilfe des Kantons die Stadt auszutricksen.

Im Katzenjammer vereint: Exponenten von FDP, SVP und CVP. (Bild: Keystone)

… und sie pflegen offen beleidigende Vorurteile
Aber wie das bei den Stadtzürcher Stimmberechtigten ankommt, wird nicht Erwägung gezogen. Genau so wenig wie beim Wiederholen der immer gleichen Leier, wonach keiner der links wählenden Städter einen Job habe, Verantwortung trage oder gar Steuern zahle. Diese dümmliche Art pauschalisierender Vorurteile, in Verkehrsdebatten auch Eins zu Eins gegen Velofahrende verwendet, ist die sicherste Art, es sich mit den Stimmberechtigten in der Stadt zu verscherzen. Denn diese zahlen sehr wohl Steuern, und dazu nicht den niedrigsten Steuersatz. Aber sie tun es bewusst, weil sie von der Stadt auch ein mehr an Infrastruktur erwarten und bekommen. Dass die Mieten in der Stadt höher sind als auf dem Land, braucht wohl nicht extra erwähnt zu werden.

Dazu kommt dann noch, dass sich SVP und FDP einen Gockelkampf um die Führung des saft- und kraftlosen, bürgerlichen Lagers liefern. Wenn dieses auch weiter eine Politik für Pendler statt für Stadtbewohner macht, wird es weiter an Bedeutung verlieren. Dabei gäbe es durchaus ein bürgerliches Stimmpotential in der Stadt. Aber dieses ist nicht reaktionär, ausländerfeindlich und gesellschaftlich konservativ. Bis zu den Fialas dieser Welt ist da freilich noch nicht vorgedrungen. Im Gegenteil: Fiala ätzt noch rum, dass die letzten drei Stadtpräsidenten der SP alle "Zugezogene" gewesen seien.

Mit Vollgas in die Bedeutungslosigkeit?
Frau Fiala, schreiben Sie sich folgendes hinter ihre perlenbehangenen Ohren: Eine Mehrzahl der Zürcher sind "Zugezogene". Und als solche haben sie die Knappheit erschwinglicher Wohnungen am eigenen Leib zu spüren bekommen. Im Unterschied zu Zürichberg-Freisinnigen wie Ihnen, die mit dem goldenen Löffel im Mund in eine Familie von Zoiftern hinein geboren wurden. Und die mit Verlaub nicht den Hauch einer Ahnung von den Alltagssorgen der Stadtbewohner haben. 

Wenn der Freisinn nur für diese abgehobene Elite Politik macht, wird der Stimmanteil weiter schrumpfen, bis sogar die Alternative Liste im Vergleich dazu wie eine etablierte Grosspartei erscheint. Denn in einer Demokratie geht es auf Dauer nicht auf, an den Bedürfnissen grosser Teile der Bevölkerung vorbei zu politisieren. Wie gesagt: Vom Unterhaltungspotenzial her bewegt sich das auf hohem Niveau. Immerhin etwas.

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