Im Fernen Osten rumort es – und das
liegt nicht an einem Schundfilmchen, das die religiösen Gefühle
einer Gruppe verletzt. Sondern an acht Felseninseln im Meer, bekannt als
Diaoyo (in der Volksrepublik), Diaoyutai (in Taiwan) oder Senkaku (in
Japan). Der Nationalismus feiert Urständ, und das kostet. Nerven,
vor allem aber Geld. Viel Geld.
Man kommt aus dem Staunen nicht heraus:
In China gehen Leute auf die Strasse. Nicht nur in einer, sondern
koordiniert in 85 Städten. Und sie werden von der Polizei nicht
verhaftet oder verdroschen, sondern eher wohlwollend eskortiert.
Schliesslich geht es gegen den anmassenden, ungeliebten Nachbarn
Japan, nicht etwa um Mitbestimmung im Staat oder um ein Ende der
Einparteien-Herrschaft. Zuerst wurden nur japanische Autos,
Restaurants und Supermärkte angegriffen. Inzwischen sind chinesische
Badminton-Spieler von einem Turnier in Japan und japanische
Radsportler von der Tour de Chine abgezogen worden. Verschiedene
japanische Konzerne haben ihre Fabriken in China geschlossen, bis auf
weiteres. Und japanische Waren sind von den Strassenmärkten in China
verschwunden.
Felsen in der Brandung, Stein des Anstosses: Einige der umstrittenen Inseln.
Hoher symbolischer Wert – und mehr
Entzündet hat sich die Empörung
vieler Chinesen an einer kleinen, unbewohnten Inselgruppe. Acht
kleine Felsen im Ostchinesischen Meer, die aber in ergiebigen
Fischgründen liegen und unter denen Erdgas- und Erdölvorkommen
vermutet werden. Dazu kommt, dass Peking seit Jahren die Flotte am
Ausbauen ist und erklärtermassen die strategische Kontrolle über die erste
Inselkette vor der Küste Chinas zu erlangen sucht. Lange waren die
grössten fünf Inseln in japanischem Privatbesitz. Zu Tumulten kam
es erst, als der japanische Staat die Inseln den
privaten Besitzern beziehungsweise der Stadt Tokyo abkaufen wollte. Diese quasi-offizielle Landnahme war
für viele Chinesen zu viel. Zumal der ganze Vorgang sich kurz vor
dem Jubiläum des Angriffs Japans auf die Mandschurei von vor 81
Jahren abspielte.
Die KP Chinas sieht sich besonders in
der Pflicht: Dem Sozialismus hat sie de facto abgeschworen,
Militarismus und Nationalismus verbleiben ihr als Fundament, und die
Wahrung beziehungsweise Wiederherstellung der territorialen
Integrität Chinas sieht sie als ihre wichtigste Aufgabe. In dieser
Hinsicht zu versagen, müsste einen enormen Gesichtsverlust nach sich
ziehen und könnte die Macht der Partei im Innern unterhöhlen. Also
gilt es, unbedingte Härte zu demonstrieren, indem die militärische
Option ausdrücklich nicht ausgeschlossen wird. Denn das wäre ein
Zeichen der Schwäche und mit nicht absehbaren Konsequenzen bezüglich
des Machterhalts des Parteiapparates verbunden.
Ansicht der Ryukyu-Inselkette - die umstrittenen Inseln sind hier noch nicht verzeichnet.
Die Fusstruppen der beiden Staaten sind
bisher ungewöhnlich: Japan entsandte Landvermesser und einige
hypernationalistische Parlamentsabgeordnete, China zuerst von Hong
Kong aus eine Gruppe von angeblich ohne staatliche Autorisierung
operierenden Aktivisten auf einigen wenigen Booten und nun soeben
eine Flotte von gegen tausend mit Propaganda zugepflasterten
Fischerbooten. Diese werden in den Gewässern rund um die
Inselgruppe schon von der japanischen Küstenwache erwartet,
ihrerseits jedoch von Schiffen der chinesischen Marine begleitet.
Auch die Republic of China, eher als Taiwan bekannt, mischt im Ringen
um die Inselchen mit: Die taiwanesische Marine hat ihrerseits Patrouillenboote entsandt, offiziell zum Schutz der eigenen Fischer,
die in den Gewässern operieren. Ein explosiver Mix, bei dem nur ein
Kapitän die Nerven verlieren muss, um eine weitere Eskalation
loszutreten.
Fragwürdige Begründungen auf allen
Seiten
Bemerkenswert ist, wie die drei Akteure
ihre Ansprüche an die Inselgruppe begründen: Japan beruft sich auf
die Nähe zu Okinawa und den südlichsten Inseln der Ryukyu-Kette,
Miyako und Yaeyama. Zudem seien die Inseln jahrzehntelang in
japanischem Privatbesitz gewesen. Nach dem Abzug der US-Truppen aus
der Region habe Japan die Inseln seit 1972 verwaltet, ohne dass dies
ein Anlass für gewalttätige Konflikte gewesen sein. Auch die
Volksrepublik China beruft sich auf die Tradition, meint damit aber,
dass schon seit Jahrhunderten chinesische Fischer rund um die Inseln
auf Fang gehen. Zudem will Peking die Ansprüche an die Inseln mit
neuen geologischen Ansprüchen untermauern: Die Inseln seien Teil der
chinesischen Festland-Platte und nicht etwa der Ryukyu-Kette, wird
behauptet. Wer die Argumentation der Volksrepublik genau liest,
stutzt aber unweigerlich.
Denn da wird seitens Peking unverblümt
behauptet, die Diaoyo-Inselgruppe gehöre zu Taiwan (so weit bin ich
noch einverstanden), und Taiwan gehöre zu China. Dieser Zusatz
wiederum ist höchst umstritten. Denn Taiwan hat über die
Jahrhunderte hinweg als Bindeglied zwischen China und Japan gedient,
meist für den Handel. Die Flagge der Volksrepublik hat noch nie über
Formosa geweht. Und wenn es in Taiwan je zu einem Referendum über
die Zugehörigkeit zu China kommen sollte, ist das Resultat absehbar:
Über 80 Prozent werden dies kategorisch ablehnen, vermutlich eher
mehr. Kein Wunder, hat Peking schon verlauten lassen, dass ein
solches Referendum als Unabhängigkeitserklärung aufgefasst würde –
und damit als Casus Belli, als Vorwand für eine militärische
Intervention, lies: einen Angriffskrieg. Ungemütlich, da permanent
1500 Mittelstrecken-Raketen der Volksarmee vom Festland aus auf die
Insel gerichtet sind.
Eingezoomt: Lage der acht Mini-Inseln im Ostchinesischen Meer.
Wie weiter mit den Inseln?
Während vereinzelt sogar aus Taiwan
von (wenn auch kleinen) antijapanischen Demonstrationen berichtet
wird, scheint sich die Regierung ihrer wichtigen, vermittelnden Rolle durchaus bewusst zu sein: Aussenminister Timothy Yang hat beide
Seiten zur Mässigung aufgerufen – und zu einer friedlichen Lösung
des Disputs. Auch Präsident Ma Ying-Jeou sieht die einzig gangbare
Lösung in einem kooperativen Vorgehen. Weil die Regierung Taiwans von China
nicht anerkannt wird, dürfte Peking diese Aufrufe einfach ignorieren
oder gar zu einer Breitseite gegen Taiwan nutzen. Aufrufe der
US-Regierung zu grösster Zurückhaltung wurden ebenso scharf zurück
gewiesen: Diese Angelegenheit gehe die Amerikaner gar nichts an,
wurde Verteidigungsminister Leon Panetta schon im Vorfeld des Besuchs
in Peking beschieden. Die Volksrepublik sieht sich militärisch wie
wirtschaftlich am längeren Hebel und scheint entschlossen, dies auch
voll auszuspielen.
Die nationalistische Empörungswelle
kommt schliesslich zur genau richtigen Zeit: Die Führungsriege der
noch immer allmächtigen KP muss in den kommenden Monaten neu besetzt
werden, was nur alle zehn Jahre geschieht. Da kommt Ablenkung in Form
eines Territorialdisputs wie gerufen. Also wird weiter gezündelt,
damit das Volk sich über Japan empört und keine ungenehmen Fragen
zum Skandal rund um den abgesetzten Bo Xilai und die Privilegien
anderer Parteibonzen zu stellen beginnt. Und von Spekulationen über den Verbleib und den Gesundheitszustand des für zwei Wochen abgetauchten Kronprinzen Xi Jinping abgelenkt wird. In Zeiten potentieller
Instabilität im Innern ist ein äusserer Feind noch immer der
sicherste Kitt.
Bloss: Die Region ist wirtschaftlich aufs engste verknüpft, und in Zeiten der Eurokrise und einer weltweit stotternden Konjunktur kann sich eigentlich niemand einen derartigen Aufstand um einige unbewohnte Inselchen leisten. Schon gar nicht Taiwan, das als regionaler Drehpunkt stark vom Handel zwischen Japan und China profitiert. So bleibt nur die Hoffnung, dass niemand, auch kein Kapitän eines Schiffs der Küstenwache oder eines der rund tausend Fischerboote, die Nerven verliert, bis Xi Jinping als neuer, starker Mann der Volksrepublik im Sattel sitzt. Was noch mindestens zwei Monate dauern dürfte. Eine lange Zeit, um den Atem anzuhalten, aufs Beste zu hoffen und mit den täglich enormen Kosten eines Handelskriegs zwischen zwei fernöstlichen Grossmächten zu leben.
Bloss: Die Region ist wirtschaftlich aufs engste verknüpft, und in Zeiten der Eurokrise und einer weltweit stotternden Konjunktur kann sich eigentlich niemand einen derartigen Aufstand um einige unbewohnte Inselchen leisten. Schon gar nicht Taiwan, das als regionaler Drehpunkt stark vom Handel zwischen Japan und China profitiert. So bleibt nur die Hoffnung, dass niemand, auch kein Kapitän eines Schiffs der Küstenwache oder eines der rund tausend Fischerboote, die Nerven verliert, bis Xi Jinping als neuer, starker Mann der Volksrepublik im Sattel sitzt. Was noch mindestens zwei Monate dauern dürfte. Eine lange Zeit, um den Atem anzuhalten, aufs Beste zu hoffen und mit den täglich enormen Kosten eines Handelskriegs zwischen zwei fernöstlichen Grossmächten zu leben.
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