Die Idee des ETH-Professoren Dirk Helbing klingt gut: Statt dass die Ampeln den Verkehr steuern (und nach bürgerlicher Diktion auf Geheiss der politisch Mächtigen in der Stadt Zürich zum Erliegen bringen), soll der Verkehr die Ampeln steuern. Wie von Zauberhand sollen so die notorischen Staus zu den Stosszeiten verschwinden. Prompt brandet in den Leserkommentaren der Applaus staugeplagter Blechkutscher für diese vermeintlich revolutionäre Lösung auf. Reto Cavegn vom TCS fabuliert gar von einem "selbstheilenden Verkehrssystem" - mit Verlaub, Herr Cavegn: Das ist automobil-esoterischer Quatsch.
Suche den Velofahrer oder Fussgänger: Ein Schema des famosen Professor Helbing.
(Quelle: TA online)
(Quelle: TA online)
Knappe versus endlose Güter
So leicht wird das mit dem Auflösen der verhassten Staus nicht gehen, denn die urbane Rushhour ist das Resultat des Aufeinandertreffens knapper und schier endloser Güter. Knapp sind der Raum auf der Strasse und zum Parken, knapp sind auch die Zeit und die Geduld der Autofahrer, zumal auf dem täglichen Weg zur Arbeit und zurück. Schier endlos ist dagegen das Mobilitätsbedürfnis moderner Berufspendler und ihre Bequemlichkeit. Man wähnt sich im freiheitlich verbrieften Recht, eineinhalb Tonnen Blech, Plastik und Gummi mit sich in die Stadt zu schleppen und pocht dann darauf, dass die Stadt oder der Arbeitgeber dafür auch einen Abstellplatz zur Verfügung stellt.
Zudem fällt an den Erläuterungen von Herr Helbing auf, dass sie stark auf den motorisierten Individual-Verkehr fokussieren: Was gut ist für die Autofahrer, ist gut für das gesamte Verkehrssystem, lautet der Tenor. Velofahrer und Fussgänger scheinen den Professor wenig zu interessieren, wohl weil sie nicht so unaufhörlich über die Zumutungen des Berufsverkehrs rumblöken wie die pendelnden Autofahrer, für die jede Minute Wartezeit eine Zumutung erster Güte zu sein scheint. Genau hier macht Professor Helbing einen grossen Fehler: Er strebt die Leidensminderung für bloss EINE Nutzergruppe an, statt den urbanen Verkehr als interdependentes System zu verstehen, wo eine Massnahme nie nur eine Nutzergruppe betrifft.
Urbane Realität: MiV, Velos, Fussgänger und öV teilen sich den Raum, so gut es geht.
Wenn Verkehrsplaner den Menschen mit einseitig autofixierten Technikspielereien das Leben versüssen wollen, ist Vorsicht geboten. Noch heute strandet man als Velofahrer regelmässig an Kreuzungen, an denen die Ampelanlage per Druckschwelle gesteuert wird - also letztlich durch den Verkehr, wie sich das Professor Helbing vorstellt. So lange sich hinter einem kein Auto einreiht, kann man als Velofahrer aber lange warten - und es wird noch immer nicht Grün. Denn die mistigen Druckschwellen reagieren erst ab einer Vierteltonne, aber sicher nicht auf einen Radler. Die Lösung lautet Induktionsschleife, denn diese nimmt auch Velofahrer wahr.
Die Umrüstung von Kreuzungen auf diese Technik kostet jedoch Steuergelder - und bringt der lautesten (in jeder Hinsicht) Nutzergruppe urbaner Strassen nur wenig. Wie man aus den Kommentaren auf Tagesanzeiger.ch ersehen kann, halten viele Autofahrer Velofahrer ohnehin pauschal für regelverachtende Rowdies, die Ampeln nur als unverbindliche Dekoration des urbanen Strassenraums verstehen und das Verkehrsklima durch ihre notorischen Regelverstösse vergiften. Schuld sind also mal wieder nur die andern, als Autofahrer ist man dagegen immer nur ein Opfer der bösen, rotgrünen Stadtregierung und ihrer maliziösen Verkehrsverhinderungspolitik. Vom Bussenterror ganz zu schweigen!
15 Kilogramm versus 2.5 Tonnen: Welches ist hier die smarte Mobilität?
Es ist genau diese Mischung aus Selbstmitleid, Selbstgerechtigkeit und pauschalisierenden Vorurteilen, die Diskussionen mit eingefleischten Autofahrern so unergiebig macht. Denn diese wähnen sich immer nur als Opfer, aber nie als Teil des zu lösenden Problems. Darum sage ich, auch an die Adresse des Kommentarschreibers Robert Zimmermann: Ihr steht nicht im Stau, Ihr seid der Stau. Und solange alle auf maximale Bequemlichkeit und minimale Veränderungen ihrer Gewohnheiten aus sind, wird sich dieser Stau nicht auflösen. Da sind die Blechkutscher schon selbst gefordert.
Selbst befürworte ich ein frequenzabhängiges Roadpricing in Stadtzentren. Nicht aus ideologisch-autofeindlichen Gründen, sondern aus der rein marktökonomischen Überlegung heraus, wonach knappe Güter bei hoher Nachfrage nicht umsonst zu haben sind oder sein sollten. Die heilige Kuh Auto hat keinen Anspruch mehr auf eine Vorzugsbehandlung. Denn das Auto ist längst kein Symbol der Freiheit mehr, es schränkt im urbanen Raum vielmehr ein. Den Fahrer, der in der Kolonne steht und nicht vom Fleck kommt, den Langsamverkehr und den öV, der wegen der Kolonne den Fahrplan nicht einhalten kann. Und die Anwohner, deren Lebensqualität unter dem Verkehr leidet.
Ach ja, noch ein letztes Wort an die Adresse der Autofahrer:
Die Stadtzürcher Regierung handelt nicht aus ideologischer Verblendung oder Neid auf Euren ach-so-tollen Spritschlucker. Sie zeigt ganz einfach Respekt vor dem Volkswillen. Denn die Stimmberechtigten in der Stadt Zürich haben im vergangenen September die Städteinitiative angenommen. Und damit eine Reduktion des Automobilverkehrs in der Stadt verlangt. Aber ist schon klar: Den Volkswillen respektiert man nur, wenn es einem in den Kram passt. Demokratie à la Car(te).
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