Rund um den Fall von Lance Armstrong geschehen bemerkenswerte Dinge: So ist es dem Fussvolk der Radsport-Fans, in Kooperation mit kritischen Teamchefs und Verbänden, zum ersten Mal gelungen, die selbstherrliche UCI-Verbandsleitung in die Knie oder doch zumindest zum Einlenken zu zwingen.
Der Fall Armstrong(s) zieht immer weitere Kreise, und das haben wir nicht zuletzt den neuen Medien und der amerikanischen Antidoping-Behörde USADA zu verdanken. Denn als diese ihre ausführliche Begründung zum drakonischen Urteil gegen den besten Doper der Radsport-Geschichte aka Cancer Jesus aka Lance Armstrong fertig gestellt hatte, sandte sie das Dokument nicht nur an den Weltradsportverband UCI und die Welt-Antidoping-Behörde WADA. Zusätzlich stellte sie die gesamte Urteilsbegründung (ein 200-seitiges Dokument, im Juristen-Jargon "reasoned decision" genannt) im Internet zum Download bereit.
Dazu richtete die USADA gar eine eigene Website ein.
Der Kontrollfreak hat die Kontrolle verloren - Grund genug, eine Schnute zu ziehen.
Bild: DPA/Keystone
Diese 200 Seiten haben es in sich: Auf Basis von Aussagen unter Eid seitens einer ganzen Reihe von Teamkollegen Armstrongs bei den Teams US Postal und Discovery Channel, aber auch von weiteren, von "Dottore EPO" Michele Ferrari frisierter Fahrer wird ein über Jahre dauerndes, systematisches und bis in die Details perfektioniertes Doping nachgewiesen. Die Dreistigkeit der Doper sucht bis heute ihresgleichen und war wohl nicht ohne wohlwollendes Wegschauen, wenn nicht offene Komplizenschaft durch die UCI zu realisieren. Weil derselbe Armstrong auch Spenden in der Höhe von US-$ 125'000 an die UCI geleistet hatte - angeblich zur Alimentierung des Kampfes gegen Doping, standen der Alt-Präsident Hein Verbruggen und der aktuelle Präsident Pat McQuaid bald auch am Pranger.
Um die Machenschaften dieser beiden Herrschaften geht es im Kern.
Bild: Photoreporter Sirotti
Zumal diese beiden zwielichtigen Herrschaften, die den Radsport über zwei Jahrzehnte hinweg unter ihrer Knute hielten, auch noch den Nerv hatten, den kritischen Sport-Journalisten Paul Kimmage wegen Diffamierung vor ein Schweizer Provinzgericht zu zitieren. Und zwar, weil dieser die beiden Sportfunktionäre und ihren Verband UCI als "korrupt" bezeichnet hatte (wofür es in der Tat Indizien gibt). Wohlgemerkt: Verklagt wurden nicht "The Times" und "l'Equipe" als die Zeitunngen, die Kimmages Vorwürfe verbreitet hatten, sondern der Journalist selbst. Ursprünglich hätte das Verfahren am 12. Dezember über die Bühne gehen sollen. Innert kurzer Zeit wurden im Internet über 50'000 US-Dollar für die Verteidigung von Kimmage gesammelt, inzwischen sind es über 80'000 US-$ - ein klares Signal an den Weltradsport-Verband, ja ein Misstrauensvotum (
bis am 1. Dezember kann man HIER noch spenden).
Worum es hier wohl ging? Hätte gerne mitgehört...
Bild: Wikipedia.com
Doch zum Gerichtstermin im Dezember diesen Jahres kommt es nicht: Denn der 26. Oktober wird in die Radsport-Geschichte eingehen. Warum? Weil das Management Committee der UCI an diesem Datum dem Druck der kritischen Öffentlichkeit nachgegeben hat. Heute hat das Führungsgremium der UCI nicht nur entschieden, dass für die sieben Jahre, in denen Lance Armstrong die Tour-Siege aberkannt wurden (1999 - 2005, für alle Nichtspezialisten), kein anderer Fahrer als Sieger nachrücken soll. Zudem soll eine unabhängige Kommission untersuchen, ob die UCI tatsächlich alles in ihrer Macht stehende gegen die grassierende Doping-Seuche unternommen oder gar das eigene Aushängeschild Lance Armstrong in unzulässiger Weise bevorzugt und geschont hat.
Die Befunde der Kommission sollen bis am 1. Juni 2013 vorliegen, und bis zu diesem Datum liegt nun auch die Diffamierungs-Klage gegen Paul Kimmage auf Eis. Kurzum: Der in die Öffentlichkeit getragene Druck vieler kritischer Stimmen, über Blogs wie demjenigen
von Gerard Vroomen, über Sites wie
Cyclismas und durch eine lebendige Twitter-Community (die Radikalsten wählten seit dieser Woche als Nutzerbild Portraits von Akteuren der Französischen Revolution, der Sturm auf die Bastille lässt grüssen - als Schreiberling und Agnostiker habe ich mich für Thomas Paine entschieden), hat Früchte getragen und die UCI zum Einlenken gebracht. In der Welt des institutionalisierten Sports ist das ein grosser Sieg, der die Macht der neuen Medien unterstreicht.
Gestatten? Thomas Paine, Propagandist, Freidenker, Revolutionär.
Klar, es ist eine gewonnene Schlacht gegen arrogante Funktionäre und die UCI, doch der Krieg geht weiter. Darum ist nun Wachsamkeit gefordert, wenn es um die Zusammensetzung der unabhängigen Kommission geht. So viel vorweg: Niemand aus dem verfilzten McQuaid-Clan, bitte, kein Darach, keine Anne, kein David! Und wer weiss, vielleicht sind die gut vernetzten, kritischen Geister ab kommendem Juni wieder gefragt. Ich stehe jedenfalls Gewehr bei Fuss, denn ich habe null Bock, mir meinen Radsport von der UCI weiter kaputt machen zu lassen. Die Revolution, der Sturm auf die Bastille oder eher das Weltradsport-Zentrum in Aigle ist vertagt, aber nicht abgesagt. Fortsetzung folgt.
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