Nach Monaten der Unsicherheit resultierte aus dem Seilziehen um die Regierungsbildung in den Niederlanden eine bürgerliche Koalition ohne Mehrheit, unterstützt von Geert Wilders gegen Muslime und Einwanderung gerichtete «Partij van de Vrijheid». Wobei Wilders’ Bewegung genau genommen keine Partei ist: Denn das einzige Mitglied ist gemäss den bisher gültigen Statuten Wilders selbst. Er allein bestimmt das Programm, die Kandidaten und die Strategie. Er ist die Partei, die Partei ist Wilders. Verglichen damit ist Christoph Blocher ein gewöhnliches SVP-Mitglied. Und eigentlich wäre schon dies Grund genug, eine Kooperation mit der PVV auszuschliessen.
Au Backe: Geert Wilders hat im Moment gute Gründe, den Blick vom politischen
Alltag abzuwenden - da ist nichts Erfreuliches in Sicht.
Geert Wilders scheint nun zu einem Opfer seines eigenen, rasanten Erfolgs zu werden: Wegen der starken Stimmengewinne bei den vergangenen Wahlen musste er viel neues Personal zur Besetzung der gewonnen Sitze finden – und bewies dabei nicht eben ein glückliches Händchen. Die Liste der Skandale rund um die Neu-Volksvertreter der PVV reicht von betrügerisch frisierten Lebensläufen und unerlaubtem Waffentragen bis zu Gewalt im Suff, dem sexuellem Missbrauch von Untergebenen und der gewaltsamen Einschüchterung von Nachbarn. Für eine Partei, die sich Law and Order auf die Fahnen geschrieben hat, kein Ruhmesblatt.
Er bringt das Kabinett Rutte I ins Wanken, weil ihn seine eigene Vergangenheit einholt:
Eric Lucassen, seit 4 Monaten Parlamentarier der PVV.
Vor allem Eric Lucassen sorgt bei Wilders – und damit auch bei Premierminister Rutte – für Bauchschmerzen: Der Herr war vor einigen Jahren als Armee-Instruktor in eine Affäre verwickelt, bei der es um sexuellen Missbrauch von Untergebenen ging (die Kaserne, in der sich diese Vorfälle ereignet hatten, wird seither vom Volsmund nur noch Spermelo statt Ermelo genannt). Obwohl Lucassen darauf beharrte, dass der Sex mit den jungen Soldatinnen einvernehmlich erfolgt sei, wurde er verurteilt - mit Hinweis darauf, dass zwischen ihm und den Soldatinnen ein Machtgefälle bestanden haben und intime Kontakte daher unstatthaft seien. Zudem haben sich in den vergangenen Tagen mehrere Nachbarn zu Wort gemeldet, die von Lucassen seit langem eingeschüchtert und beschimpft, ja vereinzelt auch tätlich angegangen worden sind. Kurzum: Als Parlamentarier ist Lucassen eigentlich nicht mehr haltbar.
Knapper gehts kaum: Die Wahlen 2010 brachten in den Niederlanden keine klaren Mehrheiten.
Bloss: Das Kabinett Rutte I, gebildet aus der rechtsliberalen VVD und den Christdemokraten vom CDA, verfügt selbst mit dem Support sämtlicher PVV-Abgeordneter nur über die knappstmögliche Mehrheit von 76 Sitzen (bei 150 Sitzen in der «Tweede Kamer»). Sollte nun also Lucassen aus der PVV ausgeschlossen werden, könnte er als Einmann-Fraktion weiter machen. Und wäre damit plötzlich das Zünglein an der Waage im Parlament. Kein Wunder, dass sich Geert Wilders sehr genau überlegt, wie er mit Lucassen verfahren soll - und sich entsprechend viel Zeit nimmt. Zugleich gibt’s in der Fraktion der Christdemokraten mindestens vier Abgeordnete, die bei harten Entscheidungen gegen Immigranten nicht mitmachen dürften. Weil sie im Unterschied zu ihren Parteikollegen die christliche Ethik nicht mit der Unterzeichnung der Regierungserklärung auf Eis gelegt haben.
Ein Karrierist vor dem Scherbenhaufen? Mark Rutte's Tage als Premierminister
scheinen gezählt, ehe er so richtig loslegen konnte.
Mit anderen Worten: Das Kabinett Rutte I steht auf tönernen Füssen. Wenn man sieht, was diese Regierung bisher auf die Reihe bekommen hat, kann man das nur begrüssen. Zu den ersten Entscheidungen der neuen Regierung gehörte die Abschaffung des Rauchverbots in kleinen Gastro-Betrieben sowie die Ankündigung, die Tempolimite auf Autobahnen von 120 auf 130 anzuheben. In Zeiten von Defiziten und Arbeitslosigkeit scheinen mir dies definitiv nicht die dringlichsten Probleme. Eher muss hier von einer populistischen Ballaballa-Politik die Rede sein, von einem Ausweichen auf symbolische Politik, wenn man in der Substanz nicht weiter kommt.
Die Sonne nähert sich dem Horizont, das Kabinett Rutte I nähert sich dem Ende. Und das ist gut so. Wenn Rutte I fällt, mach ich eine Flasche guten Wein auf. Weil die Rechtspopulisten dann einmal mehr bewiesen haben, dass mit ihnen kein Staat zu machen und keine Regierung zu bilden ist. Wer nur blöken und meckern kann, ist nicht zur Übernahme von Verantwortung geeignet.
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