Montag, 9. April 2012

Es lebe das Mittelmass

Bis vor wenigen Jahren war klar: Mountain Bikes rollten auf Rädern mit 26 Zoll Durchmesser. Nach viel Überzeugungsarbeit und noch viel mehr Werbung hat inzwischen auch 29 Zoll den Sprung über den Teich geschafft. Doch schon kündigt sich ein drittes, ein Mittelmass an.

Die drei Radmasse auf einen Blick: Das Team Scott-Swisspower bei Materialtests in der Toskana.

Dieses dritte Mass hört auf die Bezeichnung "650b" und verspricht einen goldenen Mittelweg zwischen dem bewährten 26-Zoll- und dem stark forcierten 29-Zoll-Mass. Hier ist übrigens die Bezeichnung Unsinn, denn die Felge misst wie am Rennrad auch 28 Zoll (ETRO 622mm). Um das Ganze als etwas Neues rauszupützeln, haben sich die Amis den Marketingbegriff "Twentyniner" einfallen lassen, für ein 28-Zoll-Räder mit voluminösen, profilierten Reifen fürs Gelände drauf.

Qual der Wahl? Oder mehr Wahlfreiheit für alle?
Felgen mit v.l. ETRTO 622mm (29er), 584mm (650b) und 559mm (26 Zoll) im Vergleich.

Wobei: Ganz so voluminös sind die Dinger nicht. Weil die Reifen eines Twentyniners eine grössere Auflagefläche als bei einem 26-Zoll-Rad bieten, fallen die Profile leider sehr oft reichlich zahnlos aus. Böse Zungen reden darum in Anlehnung an David Beckham auch von "metrosexuell profilierten Reifchen". Und weil mit steigendem Felgendurchmesser ein Mehrgewicht bei den Reifen droht, sparen die Hersteller an den Seitenwänden oft mehr Material, als sinnvoll wäre. Darum geht Reifen mit derart gefühlsecht dünnen Seitenwänden schon mal die Luft aus.

2012 geht es in Sachen 650b oft erst um Prototypen, 2013 wird das ganz anders ausschaun.

Erst recht, weil die grösseren Räder dazu verleiten, eine möglichst direkte Linie über gröberes Terrain zu wählen. Denn die grösseren Räder rollen in der Tat müheloser über Wurzeln und Stufen hinweg, wodurch man bei der Linienwahl weniger präzise sein muss. Gerade in verblocktem Gelände wissen fahrtechnisch wenig sattelfeste Fahrer zudem die stoïsch anmutende Laufruhe von Twentyninern zu schätzen. Wer dagegen vor allem für den Spass in den Sattel steigt und Herausforderungen sucht, nimmt dies als Trägheit wahr und wähnt sich als Passagier statt als Pilot.

Mit Alex Rims bietet ein grosser Felgenproduzent schon 2012 drei verschiedene 650b-Felgen an.

Zudem sorgen die grösseren Räder der Twentyniner bei den Konstrukteuren für Kopfzerbrechen: Für kleinere Fahrer(innen) kann es schwierig sein, eine passende Sitzposition auf einem "Stelzenvelo" zu finden. Zudem kommen sich bei grösseren Federwegen Hinterrad und Reifen in die Quere. Hier kommt das dritte Radmass 650b ins Spiel: Es verspricht bessere Rolleigenschaften als mit den herkömmlichen 26-Zoll-Rädern, ohne deswegen unerwünschte Nebenwirkungen beim Handling an Bord zu holen.


In der laufenden Rennsaison ein noch ungeschlagenes Duo: Nino Schurter und sein 650b-Prototyp.

Dass dies weit mehr ist als nur graue Theorie, beweisen zur Zeit zwei der stärksten Mountain Biker der Schweiz: Nino Schurter und Florian Vogel vom Team Scott-Swisspower sind bereits auf 650b unterwegs. Schurter hat damit in diesem Frühjahr bei jedem Rennen gewonnen, zu dem er angetreten ist. Und Vogel sorgte zum Auftakt der nationalen Rennserie "BMC Racing Cup" im sanktgallischen Buchs mit Rang Zwei für einen Doppelsieg für das Zwischenmass.

Grund genug für mich, diesem erst im Modelljahrgang 2013 kommerziell verfügbaren, viel versprechenden Konzept einen Artikel in der Stil- und Outdoor-Beilage der NZZ am Sonntag vom 8. April zu widmen. 650b wird kommen - merkt auch die Bezeichnung schon einmal.

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