Freitag, 21. März 2008

Retro II: «L’Eroica» - Radeln wie zu Opa’s Zeiten

Vor dem Hintergrund permanenter Dopingskandale im Profi-Radsport gewinnen die guten, alten Zeiten immer mehr an Reiz. Kein Wunder, dass bei den Oldie-Volksrundfahrten «L’eroica» in der Toscana bis zu 2'000 Fahrradbegeisterte an den Start rollen.

Selbst die Profis haben mittlerweile den Reiz von Schotterstrassen für sich entdeckt: Denn mit der «Eroica Monte Paschi», welche auf dem eindrücklichen Hauptplatz Siena’s endet, haben auch sie seit 2007 ein Rennen, welches fast 60 Kilometer staubiger Schotterabschnitte, die sogenannten «strade bianche», zu bieten hat. Im Vorjahr gewann der Russe Alexander Kolobnev die Premiere, dieses Frühjahr war sein Schweizer Teamkollege Fabian Cancellara der schnellste.


Prachstücke wie dieser an der Euobike 2005 ausgestellte Oldtimer mit Rücktrittbremse hinten und Löffelbremse vorne rollen bei den Hobby-Rennen mit.

Während sich die Profis mit Abschnitten über archaisch anmutende Schotterstrassen zufrieden geben, zu deren Erhaltung sich ein Verein namens «Parco Ciclistico del Chianti» gebildet hat, gehen die Hobbyfahrer bei ihren Ausfahrten nochmals einen Schritt weiter. Das Ziel lautet für sie, punkto Material und Kleidung so nah wie möglich an die Idole aus den Zeiten von Coppi, Bartali, Kübler und Koblet heran zu kommen. Statt Polyester ist darum Wolle gefragt, statt Tights umflattern Knickerbockers die Beine, die Renner sind statt aus Carbon aus Stahl gefertigt, und der Ersatzschlauch wird um die Schultern geschlungen: Den Luxus, ein Ersatzrad aus dem mitrollenden Teamfahrzeug zu beziehen, gönnt man sich nicht. Auch wenn einige Herren ihren alten Cinquecento stilecht als Teamfahrzeug hergerichtet haben.

Ein Ritzel, ein Kranz vorne und eine Kette aus anderen Zeiten: Denn Schalten tun nur Weicheier.

Die Puristen verzichten an ihren Velo-Oldtimern gar auf eine Gangschaltung, was hin und wieder zum Schieben zwingt. Dafür bietet die originale l'Eroica, welche seit gut zehn Jahren in der Toscana statt findet und wahlweise 70, 135 oder 200 Kilometer lang ist, den Vorteil, durch ein weltbekanntes Weinbau-Gebiet zu führen. Dem Vernehmen nach soll manch ein Teilnehmer nach einem Platten noch auf der Felge bis zum nächsten Chianti-Weingut geholpert sein, um dort das Notwendige (Dépannage) mit dem Angenehmen (Degustation von lokalem Rotwein) zu verbinden. Da überrascht es nicht, dass die Organisatoren auf Atemluft-Tests bei den Teilnehmenden verzichten.


Auch stilechtes Schuhwerk gibts (wieder) zu kaufen, etwa vom italienischen Sportschuhster Marresi.

Die nächste Austragung der «l’Eroica» steigt am 5. Oktober 2008 – genügend Zeit also, um sich noch um ein stilgerechtes Outfit und einen Rennrad-Oldtimer zu kümmern. Um dann mit über 2'000 Gleichgesinnten mit rahmengenähten Lederschuhen (zum Beispiel wie abgebildet von Marresi) in die altmodischen Pedalen mit ihren Haken und Riemchen zu treten.

Wer an Stelle von Toscana, Weinbergen und milder Herbstsonne lieber die Ardennen Belgiens durchstreift (um sich am Ziel ein Trappisten-Bier zu gönnen), der kann bei der «RetroTour of Flanders» mitfahren, welche der Route der Flandern-Rundfahrt folgt. Diese ist nicht nur wegen des sommerlichen Termins, sondern auch wegen der moderaten Streckenlängen (wahlweise 35 oder 60 Kilometer) für Einsteiger in die Welt des Retro-Radelns geeignet. Die Premiere zog über 80 Starter an, die kommende Ausgabe startet am 29. Juni 2008.

Am Anfang war dieses Bild aus den frühen 70ern: Der Kannibale neben seinem Teamfahrzeug.

Nachtrag:
Noch ein Teamfahrzeug für die Eroica

Über die Firma Wollistic habe ich bereits im Artikel zu den Retro-Jerseys berichtet. Aus feinster, neuseeländischer Merino-Wolle lassen diese von der Schweiz aus operierenden Briten in Italien Neueditionen klassischer Trikots fertigen. Und sobald die Molteni-Trikots fertig waren, machten sich die Woolistic-Jungs an ihr nächstes Projekt:

Schritt für Schritt zum Remake...

Jetzt sollte ein originalgetreues Teamfahrzeug her, und zwar vom Autotyp über die Lackierung bis zum Dachträger. Als Basis diente eine «244»-Limousine von Volvo, die komplett revidiert und dann Schritt für Schritt und mit viel Liebe zum Detail zum Molteni-Teamfahrzeug aufgebaut wurde.

Fehddich - und schön ist er geworden, der Molteni-244er. Sehr cool obendrein.

Wer in Sachen Retro-Volksradrennen auf den Geschmack gekommen ist, kann sich noch durch die folgenden beiden Bildgallerien clicken:
Bildstrecke Süddeutsche Zeitung mit 27 Photos
sowie
Weitere Bildgallerie mit 123 Photos

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