Freitag, 30. Oktober 2009

Wenn Ignoranz auf Selbstgerechtigkeit trifft

Einige Leute wollen noch immer nicht begreifen, dass es sich beim «eRockIt» NICHT um ein Fahrrad handelt – nachzulesen in der Kommentarsektion der Online-Ausgabe des Tages-Anzeigers.

Am 20. Oktober meldete der Online-Tagi aufgeregt – und gestützt auf ein körnig-unscharfes Leser-Photo – dass sich ein Unbekannter mit einem Velo auf die Autobahn gewagt habe. Sogleich meldeten sich eingefleischte Velohasser wie die Herren Fernando del Rio und Felix Wagner (ich bezeichne die beiden Herrschaften so, weil sie sich schon in den Kommentaren zu anderen Artikeln entsprechend positioniert haben), um ihrer Empörung und ihrem generellen Missfallen gegen Velofahrer Ausdruck zu verleihen. So weit, so mittlerweile gewohnt.

Zuerst informieren, dann in empörtem Tonfall klugscheissern: Wer sucht,
findet rasch Informationen zum «eRockIt» - man beachte das Kennzeichen.

Witzig ist, dass diese Herrschaften sich auch als komplett belehrungsresistent erweisen: Denn zwei Kommentare, welche das geknippste Vehikel als Elektro-Motorrad mit Autobahn-Zulassung identifizierten, wurden sogleich ins Land der Märchen verwiesen. So beharrt Herr Wagner wider besseren Wissens darauf, dass das «eRockIt» kein Kennzeichen aufweise. Eine kurze Suche mit dem Stichwort «eRockIt» auf YouTube fördert eine Reihe von Clips zu Tage, auf denen das grosse Motorrad-Kennzeichen des «eRockIt» deutlich zu erkennen ist. So eine Suche ist aber viel zu aufwändig – viel einfacher ist es für den Herrn Wagner, mir statt dessen vorzuwerfen, dass ich Unwahrheiten verbreite.

Der legendäre Mohammed Saeed Sahaf, letzter Regierungssprecher Saddam Husseins,
hat in Sachen Leugnung offensichtlicher Tatsachen in Felix Wagner einen Bruder im Geiste.

Zudem behauptet derselbe Herr, dass Fahrzeuge, die keine 100 Sachen erreichen, nichts auf der Autobahn verloren hätten. Es muss wirklich schon lange her sein, dass Herr Wagner die theoretische Prüfung bestanden hat – und seither muss viel Kalk gerieselt sein. Denn das Mindesttempo auf Autobahnen in der Schweiz beträgt 80km/h, in Deutschland und Italien gar nur 60km/h. Und dieses Tempo erreicht das «eRockIt». Wer verzapft da also Unwahrheiten? Und meint dazu noch, andere belehren zu müssen?

Nochmals lustiger ist der Fernando del Rio, der Velofahrer pauschal als «Velölis» beschimpft und ihnen die Missachtung aller Verkehrsregeln vorwirft. Leute wie del Rio müssen nicht nur einen sehr tiefsitzenden Frust mit sich herum schleppen – wohl genährt von unzähligen Stunden im Stau und bei der Suche nach Parkplätzen. Sie tragen mit ihrer selbstgerechten Intoleranz auch zum bedenklich vergifteten Verkehrsklima in und um Zürich bei.

Frust, gezüchtet in stehenden Blechdosen: Vielen Automobilisten bekommt es emotional
nicht gut, wenn ihr Freiheit versprechendes Vehikel zur Fussfessel im Stau wird.

Zu Herrn del Rio’s Information: Als Velofahrer hat man keine Knautschzone – und erlaubt sich darum aus reinem Selbsterhaltungstrieb schon einmal vieles nicht, was für Blechkutscher schon fast selbstverständlich ist: Bei Dunkelorange in die Kreuzung rollen, um dann allen und jedem im Weg rumzustehen, voll aufm Fussgängerstreifen anhalten, den Vortritt von Fussgängern mutwillig missachten, andere durch Unaufmerksamkeit gefährden (Stichwort Handy am Steuer oder Rechtsabbiegen ohne Blinkerstellen und ohne Blick über die Schulter), auf Radwegen parkieren oder rechtsbündig in der Kolonne rumstehen und so den Velofahrern den Weg verstellen: Die Liste der Aktionen, mit denen sich Blechkutscher in der Stadt unbeliebt machen, ist lang.

Gefährdet oder verdrängt werden meist diejenigen, die nicht in einem Auto sitzen. Und darum fällt es Autofahrern wie del Rio wohl nie auf, was für eine verdammte Zumutung sie bei der Ausübung der ihnen heiligen Freiheit des motorisierten Individualverkehrs für den Rest der Menschen darstellen. Womit wohl auch der Grund für die atemberaubende Selbstgerechtigkeit dieser Herrschaften angesprochen wäre. Wer käme schon auf die Idee, sich in seinem klimatisierten Schloss auf Rädern in Frage zu stellen?

Montag, 26. Oktober 2009

Von CO2-Fussabdrücken und Migranten

Der Jungstar der Schweizer Grünen verknüpft in einem Interview mit der Sonntagspresse Umweltprobleme, knappe Ressourcen und die Migrationspolitik. Damit folgt er einer unschönen Tradition – und das ruft nach einer Replik.

Betreffend der Migrationspolitik hat die kleine Schweiz einige ebenso unangenehme wie überraschende Wahrheiten auf Lager: So ist der rekordverdächtig hohe Ausländer-Anteil an der Wohnbevölkerung von deutlich über 18 Prozent vor allem der restriktiven Einbürgerungspolitik zu verdanken. Das ist nicht einfach so daher geredet: Selbst wohne ich seit 34 Jahren in der Schweiz, mit einem Unterbruch von 23 Monaten seit meiner Geburt. Mein Geburtsdatum ist laut meinem Ausländerausweis identisch mit dem Datum der Einreise. Herzlich willkommen im helvetischen Absurdistan.

Vor allem aber ist die Zuwanderung in die Schweiz vornehmlich eine Arbeitsmigration – und die oft verteufelten Grosskonzerne spielen dabei schon lange nur noch eine untergeordnete Rolle. Dafür waren Sektoren wie das Bau- und Gastgewerbe umso fleissiger, wenn es darum ging, billige Arbeitskräfte ohne gewerkschaftliche Organisation ins Land zu holen. Früher noch mit dem Saisonnier-Statut, welches die zeitlich begrenzte Aufenthaltsbewilligung vom Fortdauern des Anstellungsverhältnisses abhängig – und die Ausländer so zu garantiert protestfreien Befehlsempfängern in der Arbeitswelt machte. Wer aufmuckte, verlor zuerst die Stelle und in der Folge die Aufenthaltsbewilligung.

Der Fachmann spricht hier von einer bewussten Unterschichtung des Arbeitsmarktes: Erst die ausländischen Billiglohn-Arbeiter ermöglichten den kollektiven Aufstieg der Schweizer Arbeitnehmer. Diese gegen die Schlagkraft der Gewerkschaften gerichtete Stossrichtung der Migration war auch der Grund, warum die erste Forderung nach einer starren Obergrenze der ausländischen Wohnbevölkerung nicht von rechtsaussen, sondern vom Schweizer Gewerkschaftsbund kam.

Aus dem Unbehagen über die rasche Zersiedlung der Schweiz erwuchs eine braun-grüne Bewegung rund um den SD-Politiker Valentin Oehen (Bild links). Die Logik war simpel: Eine auf Autarkie bedachte, sich selbst genügende und vor allem ausländerfreie Schweiz würde weit schonender mit den Ressourcen umgehen. Bloss: Eine solche Schweiz passt zur globalisierten Welt wie die Faust aufs Auge.

Umso ärgerlicher, dass nun Bastien Girod als junger Hoffnungsträger der mir eigentlich durchaus sympathischen Grünen Partei genau diese Argumentation wieder aufnimmt. Denn bei genauer Betrachtung geht sie nicht auf: Von dem täglich zurück zu legenden Arbeitsweg über die pro Person in Anspruch genommene Wohnfläche bis zum CO2-Ausstoss des Fuhrparks dürfte die Wohnbevölkerung mit Schweizer Pass sich nur marginal von der ausländischen unterscheiden.

Ich gehe sogar davon aus, dass die wackeren Schweizer einen grösseren CO2-Fussabdruck hinterlassen, pro Nase gerechnet. Denn eine ganze Reihe von Indikatoren zeigen, dass namentlich junge Schweizer Familien aufs Land in ein Einfamilien-Häuschen zügeln, was die Zersiedelung fördert. Aber aufm Land ist die Welt halt noch vermeintlich heil – und der Anteil ausländischer Kinder in den Schulklassen gering (ich war meist das einzige, aber das nur so am Rande).

Landfresser, aber noch immer der Traum vieler Schweizerinnen und Schweizer:
Einfamilienhäuschen aufm Land, in Reih und Glied.

Der gut bezahlte Job in der Stadt wird deshalb nicht aufgegeben, also muss gependelt werden. Und weil das von Hinterkrachhausen aus nur schwer per öV geht, nehmen die morgendlichen Pendlerstaus weiter zu. Während man namentlich Migranten ausm Balkan eine gewisse Vorliebe für übermotorisierte, spoilerbewehrte Flitzer nicht absprechen kann, dürften die liebsten Autos von Herrn und Frau Schweizer kaum ökologischer sein: Ob BMW X5, VW Touareg oder Audi RS6, all diese feuchten Träume des Agglo-Automobilisten sind sperrige Dreckschleudern.

Als ökologisch bewusst lebender Ausländer, der in einer Mietwohnung in einer städtischen Tempo-30-Zone wohnt, statt einem Auto vier Fahrräder sein Eigen nennt und so viele Fahrten wie nur irgend möglich mit diesen und der Bahn erledigt, kann ich über Herrn Girods vereinfachte Sicht der Dinge nur staunen. Und vor allem darüber, dass er den gleichen Fehler wie die politische Rechte macht: Er regt sich über die rekrutierten Migranten auf statt über die rekrutierenden Arbeitgeber. Und da kippt die Argumentation in meinen Augen dann vom Unschlüssigen ins Unappetitliche - weil Sündenböcke gesucht statt Ursachen benannt werden.

Freitag, 23. Oktober 2009

Cube: Quadratisch, praktisch, gut

Auf Einladung des Komponenten-Herstellers Shimano weilte ich für zwei Tage im Cube Hotel in Biberwies-Lermoos. Und konnte mich dabei davon überzeugen, dass das Konzept für Outdoor-Sportler voll überzeugt.

Unter dem Namen «Cube» fungieren verschiedene Hotels in Österreich und der Schweiz. Ihnen ist gemein, dass sie sich in den Bergen befinden, dass sie ssich gezielt an Outdoor- und Wintersportler richten – und dass sie mit der gängigen Holz-ist-Heimelig-Ästhetik radikal brechen. Statt dessen gilt hier: Quadratisch, praktisch, gut. Und durchgestylt, nicht zu vergessen.

Denn bei den dominierenden Materialien in Cube-Hotels handelt es sich um Beton, Glas und Stahl. Das beginnt bei der Fassade des kubischen Baukörpers, die mit gut isolierenden, verschiebbaren Glasflächen umhüllt ist. Farbig beleuchtet, bieten diese im Dunkeln auch einen optischen Reiz.

Das Spiel mit den farbigen Glasflächen setzt sich drinnen im Gebäude fort: Jeder Flur auf den vier Stockwerken ist anders eingefärbt, was die Orientierung erleichtert. Zudem führen ausser einem Lift auch Rampen aus Beton auf die oberen Stockwerke. Rampen? Aber sicher, denn so kann man die zuvor mit dem Gartenschlauch gereinigten Räder zum eigenen Zimmer hochschieben.

Denn das ist der eigentliche Clou der Cube-Hotels: Vor dem eigentlichen Zimmer befindet sich ein Bereich, in dem man sperrige, aber wertvolle Sportgeräte so sicher wie sinnvoll verstauen und nasse Kleidung zum Trocknen aufhängen kann. Ein versiegelter Gussbeton-Boden erleichtert die Reinigung und zieht sich bis in den Nassbereich des Hotelzimmers – dort gar mit einer Bodenheizung versehen.

So kann man sich auf Weg zur Dusche aller eingesauter und nasser Kleidungsstücke entledigen, ohne dass der im Schlafbereich verlegte Spannteppich in Mitleidenschaft gezogen wird. Ganz schön clever und auf jeden Fall eine im Wortsinn saubere Sache. Von einem Mangel an Platz, um Kleidungsstücke zum Trocknen aufzuhängen, kann man sich auch gewiss nicht beschweren.

Im Oktober war das Hotel nur mässsig belegt, so dass auch abends an der rund um die Uhr geöffneten Bar nur wenig los war – respektive wir selbst für den Betrieb sorgen mussten. Beim Frühstück wussten Müesli, Vollkorn-Brot sowie Rührei und Speck voll zu überzeugen, wogegen der Automaten-Filterkaffee bei mir durchfiel – da sind meine Ansprüche höher gesteckt. Und beim Buffet am Abend wären auch einige Pasta-Kreationen willkommen gewesen, für alle, die auf leichter zu verdauende Kost setzen.

Wegen des eben erst gefallenen Schnees konnten wir die Bikedestination Biberwies-Lermoos nur ansatzweise testen – es blieb bei einem langen, anstrengenden Anstieg auf einer kleinen Asphaltstrasse hoch auf eine Alm, gefolgt von einer umso lustigeren Abfahrt über die frisch verschneiten Hänge neben der gespurten Piste. Das liess sich auch der Downhill-Weltmeister von 2008 nicht entgehen, der als Stargast am Camp weilte.

Wegen seines zum berghoch Fahren doch eher ungeeigneten Gefährts stieg Gee Atherton für den Anstieg zwar in die Bergbahn. Dafür zeigte er auf dem Weg zurück ins Tal, dass er auch auf einer ungewohnten Unterlage wie tiefem Schnee ein Könner ist.

Dienstag, 20. Oktober 2009

Atemlos und sensationsgeil: Medien in der Webfalle

Die Online-Ausgabe des Tages-Anzeigers meldet heute, dass auf der Autobahn nahe Zürich ein Velofahrer gesichtet worden sei – und prompt zetert schon ein Herr Del Rio über die kriminellen und verantwortungslosen Velofahrer los.


Ein Blick auf das Leserphoto im Artikel des Tages-Anzeigers zeigt aber schon: So aufrecht, wie der Fahrer auf seinem Bock sitzt, kann das kein Velo sein. Und die Tatsache, dass der Fahrer von einem Auto eskortiert und aus diesem gefilmt wurde, hätte auch stutzig machen müssen. Aber nein, der Journalist des Tages-Anzeigers zog es vor, aus dem Leserbild eine Sensationsgeschichte über einen lebensmüden Velofahrer und genervte Automobilisten zu basteln. Mit der Betonung auf basteln.

Gleichwohl stutzte ich: Bereits vor einiger Zeit hatte ich mal auf einem der diversen Privat-TV-Sender Deutschlands einen Bericht über ein Elektro-Leichtmotorrad gesehen, bei dem man nach Belieben mittreten – und mit dem man sich legal auf die Autobahn begeben kann. Eine kurze Recherche im Web brachte den Namen dieses Gefährts ans Licht, und damit wurde aus der Sensationsgeschichte ein schlichter PR-Gag.

Für mich ist klar: Was da auf der Autobahn unterwegs war, war eben ein «e-RockIt»: Dieser Zwitter aus Velo und Motorrad schafft dank 12PS bis zu 80 Sachen, muss mit Helm gefahren werden und ist als Leichtmotorrad zugelassen. Damit darf man mit diesem Teil auch offiziell auf die Autobahn, egal was die genervt hupenden Autofahrer (wieder mal sehr bezeichnend, diese Reaktion der selbsternannten Krone der automobilen Schöpfung: Die Hupe als Keule des neuzeitlichen Neandertalers) meinen. Und darum sollten sich auch notorische bis pathologische Velohasser wie Fernando del Rio ganz schnell abregen.

Aber seit wann brauchen denn ebenso bornierte wie selbstgerechte Blechkutscher wie Fernando del Rio einen triftigen Grund, um über Velofahrer abzuseihern? Das geht auch ohne.

Testen in der Sonnenstube

Am vergangenen Wochenende hielt der Winter erstmals Einzug in mittleren Lagen der Alpennordseite. Umso schöner wars dafür im Tessin, wo ich für einige Tage weilte, um einen Test von 15 Allmountain-Modellen der kommenden Saison zu leiten.

Bereits am Donnerstag reiste ich mit dem Zug nach Sargans – und von dort als Beifahrer mit dem Herausgeber des Heftes «Outdoor Guide» weiter an den Monte Tamaro. Im Gepäck hatten wir bereits drei der Testräder, und aufm Parkplatz der Tamaro-Bahn warteten zwei Mitarbeiter der Firma Stöckli, um uns ein weiteres Testrad zu überreichen.

Mit der Bahn ging es dann so weit wie möglich den Tamaro hoch, also bis zur Kirche Santa Maria degli Angeli, einem Bauwerk des Tessiner Architekten Mario Botta. Von da an war Treten angesagt: Bis zur Antennne oben aufm Tamaro waren noch rund 500 Höhenmeter zu schaffen. Und das auf einem verwitterten Fahrweg, dessen grober Schotterbelag nur mässige Traktion bot. Die ganze Plackerei wurde dafür mit einer herrlichen Aussicht auf die Magadino-Ebene und die frisch bezuckerten Alpengipfel belohnt.

Und mit einer kilometerlangen Abfahrt auf schmalen Wegen, zunächst in felsigem Gelände, dann durch die Kastanien- und Birken-Wälder an den Hängen des Tamaros. Die letzte Abfahrt hinunter nach Sigifredo erwies sich als veritabler Schüttelbecher – von so etwas wie einer Ideallinie keine Spur, dafür viele lose und grosse Steine, teils versteckt unter Laub. Auch schon entspannendere Abfahrten erlebt.

Von Freitag bis Sonntag war dann der eigentliche Testbetrieb angesagt. Also war Runde um Runde auf der für Mensch und Material durchaus fordernden WM-Strecke von 2003 zurück zu legen, jedes Mal mit einem anderen Rad, aber immer möglichst im gleichen Tempo – schliesslich sollte ein aussagekräftiger Vergleich resultieren, also macht es keinen Sinn, am Morgen Vollgas zu geben, um dann am Nachmittag aufm Zahnfleisch rumzueiern.

Das bedeutete lange Tage: Aufstehen um 7.15 Uhr, Frühstück ab 7.45 Uhr, dann um ca. 8.20 Uhr alle Testräder aus der Garage auf den Anhänger verladen und von Ponte Tresa, wo wir im Hotel Villa del Sole übernachteten, nach Rivera dürsen. Dort von 9.15 Uhr bis 12.15 Uhr testen, dann eine Stunde Pause für einen Teller Pasta, darauf wieder von 13.15 Uhr bis etwa 16.45 Uhr testen. Um etwa 17.15 Uhr zusammen packen, zurück ins Hotel, dort duschen und um 19.30 Uhr besammeln fürs Abendessen.

Während für die Testfahrer der Pflichtteil gelaufen war, warteten auf mich als Testleiter in der Garage noch die Testräder: Jedes Rad wurde von mir abgewogen, die Räder ausgebaut und auf einer präzisen Waage nochmals einzeln gewogen (weil sie als rotierende Masse einen starken Einfluss darauf haben, wie spritzig sich ein Bike fährt) sowie die Spezifikation bis in die Details notiert, um auch die Ausstattung der Räder beurteilen zu können. Das hiess, dass ich noch von 23 Uhr bis 0.30 Uhr in der Garage verschwand, zwecks Erhebung all dieser Daten.

Leckeres Abendessen – am Freitag gabs in einem Grotto wahlweise Hirsch-Fondue oder Wildschwein-Filets, am Samstag haben wir dann in einer Pizzeria gleich über die Grenze in Italien zugeschlagen – und das besonders im Vergleich zur Alpennordseite herrliche Wetter entschädigten aber locker für die langen Tage. Und sogar sturztechnisch habe ich mich zurück gehalten – und mir nicht allzu viel angetan, abgesehen von zwei angeschlagenen Knien. Im Tessin fällt man eben immer hart, egal wie und wo.

Der einzige Wermutstropfen kam auf der Heimfahrt: Obwohl wir uns zeitig auf den Weg machten, gerieten wir vorm Stalvedro-Tunnel in einen ersten Stau – und verloren insgesamt an der Gotthard-Südrampe eineinhalb Stunden. Immerhin konnten wir uns die Zeit vertreiben, indem wir auf dem Powerbook einen Film über Extremkletterer schauten.

Die Resultate des grossen Biketests können Interessierte im kommenden Frühjahr in der Sommerausgabe der Zeitschrift «Outdoor Guide» nachlesen – diese dürfte spätestens Ende April erscheinen. Für mich steht morgen ein weiterer Kurztrip an, und zwar an den Fuss der Zugspitze: Shimano lädt zum OTC-Camp im Cube-Hotel in Biberwies-Lermoos. Und dort dürfte es deutlich kälter sein als noch im Tessin.

Dienstag, 13. Oktober 2009

Nachruf: Au revoir, enfant terrible

Nun ist er doch noch zur Ruhe gekommen. Für immer: Gestern wurde der belgische Ex- und immer mal wieder Radprofi Frank Vandenbroucke tot in einem Hotelzimmer im Senegal aufgefunden. Ein jähes Ende einer unsteten Karriere.

Es gab Zeiten, da galt VdB, wie sie ihn in Belgien nannten, als grosse Hoffnung, als Talent mit grosser Zukunft – und es gab Zeiten, da galt er als hoffnungsloser Fall, oder als Notfall für die Klappsmühle. Der Aufstieg begann mit einer Bronzemedaille an der Strassen-WM der Junioren, setzte sich mit dem Sieg beim Halbklassiker Paris-Brüssel im erst zweiten Profijahr sowie Siegen bei Gent-Wevelgem und Paris-Nizza fort. Und fand schliesslich in der Saison 1999 die Krönung: Mit seinem Sieg bei der Doyenne macht er sich als Wallone unsterblich, und im Herbst liess er zwei Etappensiege bei der Vuelta in Spanien folgen.


Im selben Jahr, in dem VdB seine grössten Triumphe feierte, begann aber auch schon sein pharmazeutisch befeuerter Abstieg: In Frankreich wurden gegen VdB Untersuchungen wegen dessen Kontakten zu einem übel beleumundeten Arzt (Bernard «Dr. Mabuse» Sainz) eingeleitet, worauf ihn sein damaliges Team Cofidis beurlaubte. Was folgte, war ein unaufhaltsamer Abstieg, beschleunigt von depressiven Schüben. Zuerst zankte sich VdB lange mit Cofidis um eine weitere Anstellung, dann wurde er zum Vagabunden unter den Radsportlern, der von Team zu Team zog, die Erwartungen nie erfüllte und in der Folge Stufe um Stufe hinunter gereicht wurde.

Vom nächsten Eddie Merckx, als der er in jungen Jahren hochgejubelt worden war, zu einem der vielen unterbezahlten Mitfahrer im Feld: Dieser Abstieg hinterliess bei VdB Spuren. Er zog sich aus der Öffentlichkeit zurück, konsumierte Psychopharmaka, dazu wohl auch Amphetamine und Kokain, fiel durch Blaufahrten mit dem Auto auf und wurde zunehmend zu einer Belastung für sein engstes Umfeld. Ja zur Gefahr, als er seine Frau Sarah Pinacchi zuerst verprügelte und ihr dann eine Waffe an den Kopf hielt.

Die herbeigerufene Polizei nahm VdB in Gewahrsam. Bei anderer Gelegenheit stellte sie ein veritables Arsenal an Doping-Präparaten im Hause Vandenbroucke’s sicher. Die seien alle für seinen Hund bestimmt gewesen, liess VdB verlauten – worauf Spekulationen ins Kraut schossen, was das wohl für eine krasse Kampftöle sein müsse.

Für eine witzige Episode sorgte VdB im Sommer 2006, nachdem ihn sein damaliger Rennstall unibet.com entlassen hatte: Unter dem Namen Francesco del Ponte und mit einer gefälschten Rennlizenz – inklusive Bild des amtierenden Strassenweltmeisters Tom Boonen – trat er bei Amateurrennen in Norditalien an. VdB fuhr die Konkurrenz mehrmals in Grund und Boden und über hundert Kilometer vor dem Feld her, um kurz vor dem Ziel ausm Rennen zu steigen: Er habe nur im Rennrhythmus bleiben und den Ausgang des Rennens nicht verfälschen wollen, begründete VdB sein Verhalten.

Ein Jahr darauf hatte VdB ein erstes Rendez-Vous mit dem Sensenmann: Nachdem seine Frau angekündigt hatte, sich von ihm scheiden zu lassen, schmiss VdB im Juni 2007 in seiner Wohnung in Norditalien eine Überdosis Schlaftabletten ein. Weil ihn ein Teamkollege fand und die Rettungsdienste alarmierte, überlebte VdB.

Und schwor, noch einmal in den Profiradsport zurück zu kehren – was er dann auch im Verlauf der vergangenen beiden Saisons tat, wenn auch eher in der dritten als in der zweiten Liga. Bei seinem letzten Team blieben die Lohnzahlungen aus, weshalb er nur noch gegen Startgagen bei Kriterien antrat. Für 2010 wollte VdB nochmals in den Profi-Radsport zurück kehren. Bereits begonnen hatte er mit einer Zusammenarbeit mit dem Chef des Mapei Cycling Centre’s, Aldo Sassi. Seine Pläne wurden vom einzigen Gegner durchkreuzt, den VdB Zeit seines Lebens nie in den Griff bekam: Von ihm selbst. Möge er im Jenseits die Ruhe finden, die ihm im auf Erden nie vergönnt war.

Montag, 12. Oktober 2009

1167 – oder vom Spiel mit dem Leben anderer

Während dreier Wochen haben die Polizeien im Kanton Zürich mal etwas genauer darauf geachtet, ob Fahrzeuglenkerinnen und -lenker im Verkehr verbotenerweise das Handy benutzen. Das Resultat: 1167 verhängte Bussen! Verantwortungslosigkeit scheint weit verbreitet zu sein.

Verschiedene Studien belegen, dass durch die Nutzung von Mobiltelephonen beim Lenken eines Fahrzeuges die Aufmerksamkeit rapide abnimmt und die Unfallgefahr deshalb markant zunimmt: Beim Telephonieren um den Faktor Vier, wobei der Unterschied zwischen der Nutzung einer Freisprecheinrichtung und dem direkten Telephonieren mit dem Handy sehr gering ist, beim Tippen einer SMS bereits um den Faktor 23. Und mit dem iPhone wohl nochmals weit mehr, weil dieses Mobiltelephon für Liebhaber unausgegorener Trendprodukte (ich sag nur: Akku alle zwei Tage laden, was für ein Flop! Das iPhone ist mir bald einen Eintrag unter der Rubrik «Bad Style» wert...) ja nicht einmal erfühlbare Tasten, sondern nur einen Touchscreen zu bieten hat. Blindes Tippen im Schoss liegt da nicht drin.

Der Mensch überschätzt ganz generell sich und seine Fähigkeit zum Multitasking. Systematisch unterschlagen werden dafür die Gefahren, die dadurch im Strassenverkehr herauf beschworen werden. Als überzeugter Velo-Fahrer (und nicht Rowdy, das nur schon mal an die Adresse der vielen Autofahrer mit einer offenkundig manischen Fixierung auf angebliche Velo-Desperados) kann ich ein Lied von telephonierenden, auf ihr Navi (noch so ein ablenkendes Element, das ohne Zweifel für viele Unfälle mitverantwortlich ist) starrenden Automobilisten singen, die für alle anderen Verkehrsteilnehmer zu einer akuten Gefahr werden. Aber auch Fussgänger sind mir ein Dorn im Auge, die eine SMS tippend in Super-Zeitlupe über den Fussgängerstreifen schlurfen – oder mitten im Pendlerstrom einen Vollstopp machen, weil Fortbewegung und das Lesen einer SMS sich nicht vertragen.

Über die Verantwortungslosigkeit insbesondere von handynutzenden Autofahrern kann ich nur den Kopf schütteln. Es käme mir echt nicht in den Sinn, beim Radeln auch noch zu telephonieren. Ganz abgesehen davon, dasss die Windgeräusche das kaum zulassen, muss ich ja jeweils alle motorisierten Verkehrsteilnehmer genau im Auge behalten und für sie mitdenken, um Unfälle zu verhindern. Denn wenn ich einfach stur auf meinem Recht beharren würde, käme es bei jeder Fahrt zum Einkaufen oder an den Bahnhof und sowieso auf längeren Trainingsausfahrten unweigerlich zu Kollisionen.


Besonders zu denken gibt mir die Zahl 1167: Eine derartige Häufung von Bussen, in nur drei Wochen und in nur einem Kanton – und das bei einer nach wie vor enormen Dunkelziffer! Da muss man schon fast von einer breit angelegten Verweigerungshaltung sprechen. Oder von einer kompletten Verluderung der Sitten im Verkehr. Dazu passt auch, dass von ingesamt 13800 Verkehrsunfällen auf Zürcher Kantonsgebiet im Jahr 2007 gut 3000 auf Ablenkung oder Unaufmerksamkeit zurück zu führen waren. Kein Wunder, dass das Bundesgericht in einem Urteil vom 24. September dieses Jahres zum Schluss kam, dass das Schreiben einer SMS am Steuer eine grobe Verletzung der Verkehrsregeln sei.

Dabei sind die Strassenverkehrsgesetze nicht dazu da, die armen Bürger zu schikanieren: Statt dessen sollen sie eine reibungslose Funktion des Verkehrs sicherstellen. Und das funktioniert nun einmal meist nur durch eine hohe Regulierungsdichte – was wiederum ablenkende Elemente zu einem grossen Störfaktor werden lässt. Wer also das nächste Mal telephonierend auf einen Stau auffährt und über rotgrüne Verhinderungspolitiker zu fluchen beginnt, der sollte sich einmal oder lieber zwei Mal überlegen: Wer oder was verursacht den Stau? Und wer steht drin?

Weitere Facts, eine Übersicht über die geltenden Verkehrsregeln sowie einen Online-Blindflug-Simulator findet man auf den folgenden Seiten der Polizei:

http://www.lenkenstattablenken.ch

http://www.handyamsteuer.ch/

Sonntag, 11. Oktober 2009

Von Redlichkeit – und der Einheit der Materie

Viel wird zur Zeit über das Plakat der Minarettsverbots-Initianten diskutiert: Da prallt der Rassismus- auf den Zensur-Vorwurf, die Meinungsäusserungsfreiheit auf die Forderung nach gegenseitigem Anstand. Dabei ist das Plakat vor allem eines: Irreführend!

Eines der zentralen Kriterien für die Gültigkeit von Volksinitiativen ist die Einheit der Materie: Das heisst im Klartext, dass nicht mehrere Vorschläge oder Forderungen in eine Vorlage gepackt werden dürfen (wie jeweils im Parlament im Rahmen von Kompromiss-«Päckli»). Dies soll den bundesrechtlichen Anspruch der Stimmberechtigten auf freie und unverfälschte Willensbildung und -kundgebung gewährleisten.


Nun, was zeigt uns das Plakatsujet der Minarettsverbots-Initianten? Im Hintergrund steht das eigentliche Objekt, um welches es bei der Vorlage geht. Nein, das sind keine modifizierten Scud-B-Raketen, das sollten wohl Minarette sein. Und diese sollen nicht auf der Schweizer Flagge – pardon, auf schweizerischem Grund und Boden stehen dürfen. Mich persönlich irritiert die per Burka verschleierte Frau im Vordergrund, gleich beim Wörtchen «Stopp», weit mehr: Denn hier suggerieren die Initianten, dass man (oder eher Frau) das Tragen der Burka durch ein Ja zur Minaretts-Verbots-Initiative stoppen könne. Die Burka wird aber mit keinem Wort in der Vorlage erwähnt – und das Verbot, Minarette zu bauen, wird auch kaum Einfluss darauf haben, wie viele Musliminnen in der Schweiz sich so verhüllen werden, wenn sie das Haus verlassen.


Bisherige Umfragen zur Minarettverbots-Initiative zeigen, dass diese bei Frauen mehr Unterstützung findet als bei Männern. Könnte das an diesem unredlichen, weil die Einheit der Materie verletzenden Plakat liegen? Ich sage: Es könnte nicht, es ist so. Bloss: Es wird Ende November weder über Kopftücher noch über Schleier oder über Burkas abgestimmt. Es geht um das baurechtliche Verbot der Baus von Minaretten, das in der Bundesverfassung verankert werden soll. Doch selbst Initianten wie Walter Wobmann präsentieren ihren Vorschlag als ersten Schritt dazu, die Einführung der Scharia in der Schweiz zu verhindern. Kulturkampf pur, was hier geboten wird. Ein Jahr nach Abwahl von George W. in den USA, nota bene.


Freikirchler und unheimlicher Patriot: Walter Wobmann, in Wangen an der Aare
gegen Minarette imprägnierter Nationalrat und Kulturkämpfer.

Was bisher klar eine kommunale Angelegenheit war, soll nun also bundesweit über die Verfassung vereinheitlicht werden. Ein Vorschlag, der aus den Reihen der Partei, die sich gewöhnlich als Schutzpatron des Partikularismus und der Gemeindeautonomie aufspielt (ich verweise auf den heftigen Widerstand gegen Harmos aus den Reihen der SVP), doch etwas überrascht. Wie auch die in jüngster Zeit immer wieder gehörte Klage über die Unterdrückung der Frauen in der muslimischen Welt. Ach ja, die SVP als senkrechte Vorkämpferin für die Rechte (und Chancen) der Frau? Ist mir neu, aber ich lass mich in Zukunft gerne überraschen, von den ganz wenigen Froue und den ganz vielen Manne.

Schwarzenbach-Altlast in der SVP: Ulrich Schlüer, xenphober Vorkämpfer der ersten Stunde.
Flaacher Spargel sieht übrigens auch ein bisschen wie ein Minarett aus, Herr Schlüer.


Dass dieses Anliegen und die geschmacklosen Plakate der Initianten die Schweiz einmal mehr als Hort ebenso selbstgerechter wie fremdenfeindlicher Hanseln erscheinen lässt, ist betrüblich. Insbesondere in der arabischen Welt, aber nicht nur dort, wird sich das Verständnis für die gelebte Meinungsäusserungsfreiheit in der selbsternannten «ältesten Demokratie der Welt» in sehr engen Grenzen halten. Wenn sogar schon ein betont sachliches Medium wie Al Jazeera schwere bedenken hat, kann man sich vorstellen, wie islamistische Eiferer abgehen werden, wenn sie von besagtem Plakat erfahren. Aber auch das ist wohl ein Kalkül der SVP: Die Message an Muslime weltweit lautet, dass sie hier nicht willkommen sind. Ausser, wenn sie als Touristen ganz viel einkaufen und dann wieder verreisen.


Dass die Initiative ausgerechnet aus jenem gewerblichen Milieu kommt, welches die Muslime als Billigarbeiter ins Land geholt haben, wird dabei mal wieder unterschlagen. Dafür ist man sich dann nicht zu blöde, den Arbeitskräften, die man ins Land geholt hat, die Ausreise nahezulegen. Wie sagte ein Votant an der SVP-Delegiertenversammlung in Genf? Wenn das Leben in der Schweiz für Muslime so unerträglich sei, dann «sollen die doch ihre Sachen packen und zu sich nach Hause gehen.» Leider kann man hetzerische SVP-Deppen nicht ausschaffen, um die Schweiz erträglicher zu machen. Leider.

Freitag, 9. Oktober 2009

Antidoping und Amgen, Hand in Hand

Die Politik verweigert der Stiftung Antidoping Schweiz, welche als nationaler Ableger der WADA für die Durchführung der Dopingkontrollen in der Schweiz verantwortlich ist, die für ernstzunehmende Kontrollen nötigen Mittel. Nun naht Hilfe – von dubioser Seite.

Im Dezember 2008 entschied der Nationalrat durch den Stichentscheid der Präsidentin der Grossen Kammer, Chiara Simoneschi-Cortesi, die Staatsbeiträge an das jährliche Budget von Antidoping Schweiz nicht um eine Million Franken zu erhöhen (LINK: Artikel NZZ). Es blieb somit bei geradezu lausigen 1.7 Millionen, welche die Eidgenossenschaft jährlich zum Gesamtbudget von 3.8 Millionen Franken hinzusteuert. 1.9 Millionen kommen von Swiss Olympic, 200'000 Franken werden durch die Verrechnung von Laboranalysen im Auftrag von Drittparteien generiert. Alles in allem kein Ruhmesblatt für die reiche, kleine Alpenrepublik.

Blood is thicker than water, wusste schon Shakespeare.
Und Blut erlaubt weit mehr Rückschlüsse als Urin.

Denn die Knappheit der Mittel erlaubt es Antidoping Schweiz bisher nicht, neben Urin- auch Blutproben der Kaderathleten zu analysieren. Wer sich auch nur ansatzweise mit der Doping-Problematik beschäftigt, weiss aber genau, dass nur Blutproben den Fahndern eine Chance lassen, Doper zu erwischen. Methoden wie Eigenblut-Doping, Missbrauch von Hormonen (EPO, Wachstumshormone) und erst recht das kommende Gen-Doping sind per Urinprobe nicht nachweisbar.

Wohl bekomms: Wenn Spritzen und Pillen auch für Gesunde zum Alltag werden...

Das erklärt neben der für Trainings geeigneten Topographie und dem angenehmen (Steuer-)Klima, weshalb sich so viele Radprofis in der Schweiz niedergelassen haben. So wohnt im Raum Kreuzlingen ein nicht einwandfrei beleumundetes Trio (Jan Ullrich, Matthias Kessler und Andreas Klöden). Doch auch Cadel Evans, Oscar Freire, Linus Gerdemann (alle drei im Tessin) und Gerald Ciolek (Ermatingen) leben in der Schweiz – und werden von Antidoping Schweiz kontrolliert. So weit die Kohle reicht, zumindest.

Anerkannt, integer, aber mangels Geld hifllos: Matthias Kamber.

Doch nun soll alles besser werden – zumindest im Bereich des Schwimmsports. Denn Antidoping Schweiz hat sich mit Partnern zum Projekt «Clean Water» zusammen geschlossen. In dessen Rahmen sollen die Swiss Swimming-Kaderathleten mit Chancen auf einen Start an den Olympischen Spielen in London regelmässig zu Bluttests aufgeboten werden, um auf Grund der so erhobenen Daten biologische Pässe zu erstellen. Der Testpool umfasst bescheidene neun Sportler.

Bisher mässig erfolgreiche Lobbyistin: Corinne Schmidhauser.

Matthias Kamber als Direktor und Corinne Schmidhauser als Präsidentin von Antidoping Schweiz werden nicht müde, die Bedeutung des Partners aus der Privatwirtschaft heraus zu streichen, ohne den das Programm nicht finanzierbar wäre. So weit, so schön. Aber um wen handelt es sich denn bei diesem Partner aus der Privatwirtschaft, der nun mit Swiss Swimming und dem Lausanner Doping-Analyselabor von Martial Saugy zusammen spannt?

Der Hauptsitz von AMGEN - merke: Es lohnt sich, potente Dopingmittel zu produzieren.

Nun, es geht um den weltgrössten Produzenten von EPO-Präparaten, die kalifornische Biotechnologie-Firma Amgen. Dass Amgen der Marktleader bezüglich eines Präparates ist, dessen Absatz den therapeutischen Bedarf bei weitem übersteigt (laut Professor Alessandro Donati dürfte der Absatz in Italien den medizinisch indizierten Bedarf um den Faktor 5 bis 6 übersteigen, vgl dazu diese Meldung des DOSB), wird seitens Antidoping Schweiz verschwiegen. Und leider weder im Artikel des Tages Anzeigers noch in demjenigen der NZZ erwähnt.


So bleibt ein zwiespältiges Geschmäckle zurück: Warum sollte Amgen ein Interesse haben, dass die Nachfrage seitens gesunder Ausdauersportler in der Schweiz markant zurück geht? Haben wir es hier nicht eher mit einer Image-Alibiübung zu tun, seitens Amgen wie von seiten von Antidoping Schweiz? Der Vorgang zeigt meiner Meinung nach vor allem eines: Es ist an der Politik, endlich für eine ausreichende Finanzierung von Antidoping Schweiz zu sorgen, so dass diese Stiftung nicht mehr darauf angewiesen ist, Partner aus der Privatwirtschaft zu suchen. Und im weltgrössten EPO-Produzenten zu finden.

Donnerstag, 8. Oktober 2009

An alle Velohasser...

Wer täglich mit dem Velo durch den Stadtverkehr flitzt, wird immer wieder mit Situationen konfrontiert, wo Automobilisten es drauf an kommen lassen: Zwei Tonnen Blech und sechs Airbags gegen 10 Kilo Velo, 70 Kilo Fahrer und keinerlei Knautschzone. Fair ist anders.

Weil sich Autofahrer offensichtlich nicht nur in Zürich und Winterthur, sondern auch in New York proportional zu Grösse und Gewicht ihres Vehikels dumm und dümmer verhalten, haben wir es mit einem weltumspannenden Thema zu tun. Da wundert es nicht, dass man in den Weiten des Webs auch auf Gedanken bedrängter Radfahrer aus anderen Teilen der Welt stösst.

Zwei Tonnen gegen 80 Kilogramm - oder: Was stimmt hier nicht?

Wie etwa auf diese offene Replik einer New Yorkerin an die Adresse eines SUV-Fahrers, der sie bei schlechtem Wetter zuerst per Hupe drangsalierte, um ihr dann gleich nach dem Überholen auch noch den Weg abzuschneiden. Das grosse Auto will ja schnell parkiert werden, nicht wahr? Besagte Replik bleibt im Wortlaut anständig, bringt die Sache aber dennoch sauber auf den Punkt: Wer sein Auto für ein Disziplinierungsinstrument und sich für den Sheriff hält, begibt sich in einen attributorischen Graubereich zwischen verantwortungslos und kriminell.

Radikal, aber auf seine Weise konsequent: John Locke (1632-1704).

Bei solchen Leuten halte ich persönlich es mit dem aufklärerischen Philosophen John Locke: In seinen Augen handelte ein Mensch, der andere wissentlich und willentlich in ihrer Existenz gefährdet, bar jeder Vernunft und wie ein wildes Tier - und begibt sich somit ausserhalb der Zivilisation. Daher dürfe man so jemanden - immer gemäss Locke - auch wie ein wildes Tier behandeln. Und zum Selbstschutz totschlagen.

Etwas radikal, gebe ich zu. Aber auch ich werde jeweils in solchen Situationen ganz ranzig und mach aus meiner Meinung keinen Hehl - deutliche Worte sind in solchen Situationen das mindeste. Und wenn so ein Automobilist dann noch meint, zwecks Prügelei aus seiner Blechkutsche aussteigen zu müssen, ist mein treues, altes Bügelschloss mit seinen eineinhalb Kilo Gewicht schnell zur Hand. Bisher ists nie zum Einsatz gekommen, der blosse Anblick hat jeweils gereicht, um die Fahrer davon zu überzeugen, auf eine handgreifliche Auseinandersetzung zu verzichten.

Sonntag, 4. Oktober 2009

Man spricht Deutsch – Guido erst recht

Der designierte Aussenminister der neuen schwarz-gelben Regierung Deutschlands mag sich keiner Fremdsprache bedienen. Etwas widersprüchlich, sieht sich Guido Westerwelle doch als Gesicht eines jungen, dynamischen Deutschland.

Am Abend der Bundestagswahlen war der Bundesvorsitzende der FDP ein gefragter Mann: Die Partei Guido Westerwelle war zur Kanzlermacherin und klar zur dritten Kraft in der deutschen Parteienlandschaft geworden – mit einem modernen, radikalliberalen und der Globalisierung gegenüber sehr offenen Wahlprogramm.


Umso mehr überraschte es, dass Westerwelle sich am Wahlabend weigerte, eine Frage eines BBC-Reporters auf Englisch zu beantworten: Es sei Deutschland hier, belehrte Westerwelle den britischen Journalisten, und in Deutschland werde Deutsch gesprochen. In einem Interview mit der Postille des Deutsch-Dumpfbackentums, der «Bild am Sonntag», doppelt Westerwelle nun nach: Er finde Deutsch eine wunderschöne Sprache, und er wolle sich innerhalb der EU dafür einsetzen, dass sie nicht zur Viert- oder Fünftsprache degradiert werde.


Und nein, er werde auch in Zukunft auf deutschem Boden keine Fragen in Fremdsprachen beantworten. Nicht weil er, der Westerwelle, das nicht könne, sondern weil er nicht wolle, aus Prinzip und überhaupt: Hier ist Deutschland. Verschiedene Clips auf YouTube lassen an dieser Darstellung zweifeln: So hölzern wie der Guido in der Sprache Shakespeare's wheelbreaken (radebrechen) tut, sollte er wohl wirklich bei der Sprache Goethes und Schillers bleiben – oder sich von den Industriellenvereinigungen mal einen Sprachaufenthalt in Oxford bezahlen lassen. Drei Monate können Wunder wirken, Herr Westerwelle.


Mich persönlich irritiert an diesem ganzen Vorgang, dass sich Westerwelle mit seinem demonstrativen Unwillen, eine andere Sprache als eben Deutsch zu sprechen, bei genau jenen Kreisen anbiedert, die sonst mit dem Wahlprogramm der FDP nichts anfangen können. Denn es sind vor allem beruflich weniger hoch Qualifizierte, Leute über 50 und in der ehemaligen DDR aufgewachsene Deutschen, die Mühe mit dem Englischen haben. Und der eigentlich in der FDP inzwischen ausgestorbene Flügel der Deutschnationalen, die im Englischen die Sprache der Besatzer und Bomberpiloten sahen. Dass Westerwelle gezielt Signale an diese Ewiggestrigen sendet, möchte ich nicht glauben.

Der Kern der FDP-Wähler dagegen, gut gebildete, eher junge und auf Karrieren in der globalisierten Wirtschaft orientierte Bürgerinnen und Bürger, werden sich fragen, was Westerwelle’s Widerstand gegen die Lingua Franca der Globalisierung soll. Denn bei einem Bewerbungsgespräch eines international operierenden Konzerns würde sich der Guido mit seiner demonstrativen Englischverweigerung ratzfatz aus dem Rennen nehmen.

Samstag, 3. Oktober 2009

Wenn Zug entgleist...

Trennung von Staat und Kirche, Meinungsäusserungsfreiheit und Aufklärung: All das hat in Zug hinter die Sensibilitäten bigotter Katholiken zurück zu stehen. Höchste Zeit für eine Polemik zur Talebanisierung der Steueroase Zug!

Der Auslöser der aktuellen Provinzposse um bigotte, zentralschweizer Katholiken ist eine Plakatkampagne, welche die Freidenker-Vereinigung Schweiz nach britischem Vorbild im ganzen Land lancieren will. Mit einem Augenzwinkern wird die Existenz Gottes in Frage gestellt – verbunden mit der Aufforderung, das Leben frei von religiösen Zwängen und Verboten zu geniessen.

Zu viel für die bigott katholische Stadtregierung von Zug, welche in dem Plakat der Freidenker ein öffentliches Ärgernis sieht und dessen Aushang auf Stadtgebiet verbietet. Das wirklich ärgerliche, da hetzerische Plakat der Minarettverbots-Initiative darf hingegen in Zug hängen – na bravo! Die Sensibilitäten dünnhäutiger Katholiken werden ganz offensichtlich etwas anders gewichtet als die Anliegen einer Minderheit wie der Muslime. Die darf man ruhig als aggressiv und gefährlich brandmarken und kollektiv in die Nähe des Terrorismus rücken. Aber wehe es wagt jemand, die Existenz des lieben katholischen Gottes in Frage zu stellen. Dazu noch in Zug, wo man näher bei Gott (und den Vermögen steueroptimierender Geldsäcke) hockt als anderswo.

Der Entscheid der Zuger Stadtregierung ist weit mehr als ein unverständliches Ärgernis: Er ist eine Verhöhnung von 250 Jahren Aufklärung und all jener, die im Kampf gegen Denkverbote und religiösen Aberglauben sowie für das freie Denken mal ihre Karriere, mal ihr Leben geopfert haben. Vor allem aber verstösst der Entscheid gegen die Religions- wie gegen die Meinungsäusserungsfreiheit. Denn anders als etwa mit dem Plakat der Minarettverbots-Initiative wird nicht ausgegerenzt und Angst verbreitet: Das Plakat der Freidenker stellt nur eine tradierte Überzeugung in Frage – da steht schliesslich kein trotziges «Gott ist tot». Nein, die Aussage ist sogar durch ein «wahrscheinlich» entschärft worden, um Gottes blökende Schäfchen (mit weissen Fell, nehme ich an) nicht zu sehr zu verstören.

In England, wo immerhin die Queen nominal noch Oberhaupt der Kirche ist,
war das Freidenker-Plakat schon im Herbst 2008 ein Thema (Bild: Keystone).

Angesichts der Tatsache, dass man vielerorts in der Schweiz ungefragt und im Weltformat mit dem frömmlerischem Geseiher und assortierten Bibelsprüchen der freikirchlichen «Agentur C» eingedeckt wird, ist der Entscheid der Zuger Stadtregierung umso inakzeptabler.

Wie weiter? Erstens sollten die Freidenker den Entscheid der Stadt Zug anfechten. Und zweitens sind alle Freidenker dazu aufzurufen, T-Shirts mit dem Anstoss erregenden Spruch anzuziehen und damit zu Hunderten durch Zug zu flanieren. Ghandi lässt grüssen, und die Freiheit lässt sich nicht von bornierter Bigotterie beschränken – nicht im 21. Jahrhundert!

Ein kleiner Programm-Vorschlag für Openairs im Raum Zug:
Wie wärs mit einem Auftritt der Band «Das Ich»?

Wenn politisch Mächtige der Meinung sind, sie müssten den Glauben gegen die Skepsis aufgeklärter Geister verteidigen, dann haben sie den Rückwärtsgang eingelegt. Mit Bezug auf die islamische Welt wäre angesichts solcher Vorgänge sofort von einer Islamisierung oder gar Talebanisierung die Rede. Wieso nicht auch in Zug? Der grösste Feind des Wissens und der Wissenschaften ist und bleibt der Glaube – und die damit verbundenen Denkverbote. In diesem Sinne: Gott ist tot!