Sonntag, 11. Oktober 2009

Von Redlichkeit – und der Einheit der Materie

Viel wird zur Zeit über das Plakat der Minarettsverbots-Initianten diskutiert: Da prallt der Rassismus- auf den Zensur-Vorwurf, die Meinungsäusserungsfreiheit auf die Forderung nach gegenseitigem Anstand. Dabei ist das Plakat vor allem eines: Irreführend!

Eines der zentralen Kriterien für die Gültigkeit von Volksinitiativen ist die Einheit der Materie: Das heisst im Klartext, dass nicht mehrere Vorschläge oder Forderungen in eine Vorlage gepackt werden dürfen (wie jeweils im Parlament im Rahmen von Kompromiss-«Päckli»). Dies soll den bundesrechtlichen Anspruch der Stimmberechtigten auf freie und unverfälschte Willensbildung und -kundgebung gewährleisten.


Nun, was zeigt uns das Plakatsujet der Minarettsverbots-Initianten? Im Hintergrund steht das eigentliche Objekt, um welches es bei der Vorlage geht. Nein, das sind keine modifizierten Scud-B-Raketen, das sollten wohl Minarette sein. Und diese sollen nicht auf der Schweizer Flagge – pardon, auf schweizerischem Grund und Boden stehen dürfen. Mich persönlich irritiert die per Burka verschleierte Frau im Vordergrund, gleich beim Wörtchen «Stopp», weit mehr: Denn hier suggerieren die Initianten, dass man (oder eher Frau) das Tragen der Burka durch ein Ja zur Minaretts-Verbots-Initiative stoppen könne. Die Burka wird aber mit keinem Wort in der Vorlage erwähnt – und das Verbot, Minarette zu bauen, wird auch kaum Einfluss darauf haben, wie viele Musliminnen in der Schweiz sich so verhüllen werden, wenn sie das Haus verlassen.


Bisherige Umfragen zur Minarettverbots-Initiative zeigen, dass diese bei Frauen mehr Unterstützung findet als bei Männern. Könnte das an diesem unredlichen, weil die Einheit der Materie verletzenden Plakat liegen? Ich sage: Es könnte nicht, es ist so. Bloss: Es wird Ende November weder über Kopftücher noch über Schleier oder über Burkas abgestimmt. Es geht um das baurechtliche Verbot der Baus von Minaretten, das in der Bundesverfassung verankert werden soll. Doch selbst Initianten wie Walter Wobmann präsentieren ihren Vorschlag als ersten Schritt dazu, die Einführung der Scharia in der Schweiz zu verhindern. Kulturkampf pur, was hier geboten wird. Ein Jahr nach Abwahl von George W. in den USA, nota bene.


Freikirchler und unheimlicher Patriot: Walter Wobmann, in Wangen an der Aare
gegen Minarette imprägnierter Nationalrat und Kulturkämpfer.

Was bisher klar eine kommunale Angelegenheit war, soll nun also bundesweit über die Verfassung vereinheitlicht werden. Ein Vorschlag, der aus den Reihen der Partei, die sich gewöhnlich als Schutzpatron des Partikularismus und der Gemeindeautonomie aufspielt (ich verweise auf den heftigen Widerstand gegen Harmos aus den Reihen der SVP), doch etwas überrascht. Wie auch die in jüngster Zeit immer wieder gehörte Klage über die Unterdrückung der Frauen in der muslimischen Welt. Ach ja, die SVP als senkrechte Vorkämpferin für die Rechte (und Chancen) der Frau? Ist mir neu, aber ich lass mich in Zukunft gerne überraschen, von den ganz wenigen Froue und den ganz vielen Manne.

Schwarzenbach-Altlast in der SVP: Ulrich Schlüer, xenphober Vorkämpfer der ersten Stunde.
Flaacher Spargel sieht übrigens auch ein bisschen wie ein Minarett aus, Herr Schlüer.


Dass dieses Anliegen und die geschmacklosen Plakate der Initianten die Schweiz einmal mehr als Hort ebenso selbstgerechter wie fremdenfeindlicher Hanseln erscheinen lässt, ist betrüblich. Insbesondere in der arabischen Welt, aber nicht nur dort, wird sich das Verständnis für die gelebte Meinungsäusserungsfreiheit in der selbsternannten «ältesten Demokratie der Welt» in sehr engen Grenzen halten. Wenn sogar schon ein betont sachliches Medium wie Al Jazeera schwere bedenken hat, kann man sich vorstellen, wie islamistische Eiferer abgehen werden, wenn sie von besagtem Plakat erfahren. Aber auch das ist wohl ein Kalkül der SVP: Die Message an Muslime weltweit lautet, dass sie hier nicht willkommen sind. Ausser, wenn sie als Touristen ganz viel einkaufen und dann wieder verreisen.


Dass die Initiative ausgerechnet aus jenem gewerblichen Milieu kommt, welches die Muslime als Billigarbeiter ins Land geholt haben, wird dabei mal wieder unterschlagen. Dafür ist man sich dann nicht zu blöde, den Arbeitskräften, die man ins Land geholt hat, die Ausreise nahezulegen. Wie sagte ein Votant an der SVP-Delegiertenversammlung in Genf? Wenn das Leben in der Schweiz für Muslime so unerträglich sei, dann «sollen die doch ihre Sachen packen und zu sich nach Hause gehen.» Leider kann man hetzerische SVP-Deppen nicht ausschaffen, um die Schweiz erträglicher zu machen. Leider.

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