Mittwoch, 7. November 2012

US-Wahlen: Eine Nachbetrachtung

Wenn man die Meldungen der meisten Medien für voll nahm, war in den USA die knappste Präsidentenwahl aller Zeiten zu erwarten. Es kam anders, und so grausam überraschend war das auch nicht - wenn man zwischen den Zeilen zu lesen vermag und das Wahlsystem der USA nicht nur im Ansatz versteht.

Hinterher wollen es alle besser gewusst haben - immer und überall und erst recht nach US-Präsidentschaftswahlen. Aber nur einer kann sich heute selbst auf die Schulter klopfen, bis diese wund ist: Nate Silver hat auf seinem FiveThirtyEight-Blog auf NY Times Online den Wahlausgang sehr treffend vorausgesagt. Und sich dabei auf Zahlen aus Meinungsumfragen abgestützt, die allen offen standen. Bloss dass Silver diese Zahlen ohne ideologische Brille betrachtet und daraus die richtigen Schlüsse gezogen hat.

Eine taiwanesische TV-Station hat den US-Wahlkampf bereits in Manga-Manier verwurstet.

Bei republikanischen Laut- und Vielsprechern war Silver dennoch als Liberaler und Linker verschrien, weil er das viel beschworene Momentum Romneys nach der ersten, aus seiner Sicht gelungenen Fernsehdebatte in Denver schon bald als verebbt bezeichnete und dem Duo Mitt Romney/Paul Ryan keine echte Chance auf einen Sieg an der Urne (oder was in den Staaten sonst noch an origineller bis fragwürdiger Apparatur zum Einsatz kommt, um den Willen von Wählerinnen und Wählern zu erheben) einräumte.

Eine Zusammenstellung von Tweets aus den Tagen vor der Entscheidung.

Auch ich habe mich per Twitter in den Tagen vor der Entscheidung einige Male zu den bevor stehenden US-Wahlen geäussert - und dabei einige Dinge festgestellt, die nun von teuer bezahlten Experten bestätigt werden. Etwa, dass sich die Republikaner zu sehr auf weisse Männer versteiften und mit unbedachten Äusserungen die eigenen Wahlchancen bei Frauen (Abtreibungen nach Vergewaltigungen, "binders full of women"), Schwarzen und Latinos (Der Ruf nach verschärften Immigrationsgesetzen und der 47-Prozent-Sager von Romney lassen grüssen) torpedierten.

Yes, he gets a second chance for change: Barack Obama.

Am frühen Dienstagabend erwartete Nate Silver, dass Barack Obama 310 Elektorenstimmen gewinnen werde. Selbst vermeldete ich um 19:30 Uhr, dass 300 Stimmen ein schöner Erfolg und alles darüber hinaus eine Zugabe wären. Wie wir nun wissen, werden es wohl eher über 330 Stimmen im Wahlkollegium werden, da Florida auch noch dem Amtsinhaber zufallen dürfte. Kein Wunder, dass Donald Trump am Rad drehte und allen Ernstes zum Marsch auf Washington und zur Revolution aufrief, um diesen illegitimen Präsidenten aus dem Amt zu jagen. Kein Witz, die Trump'schen Tiraden sind hier übersichtlich zusammen gefasst.

Anschauen auf eigene Gefahr: Sarah Palin, kein bisschen schlauer als früher.

Als die Felle von Romney/Ryan davon zu schwimmen begannen, aber noch kein offizielles Resultat verkündet war, bekam die unsägliche Sarah Palin auf Fox News (wo sonst?) Gelegenheit, schon einmal präventiv Gift und Galle zu verspritzen und den Untergang der USA vorher zu sagen. Dagegen sind einige der penetrantesten Kampf-Kommentatoren in der Schweiz heute auf wundersame Art und Weise verstummt, wie der famose Heinrich Schibli: Einem Don Quijote (oder eher einem Donkey Schibli) gleich ritt er in den Wochen vor den Wahlen Angriff um Angriff gegen den von ihm empfundenen, liberalen Gutmenschen-Mainstream, ob in den USA, "den Medien" (etwa der Weltwoche?) oder der Schweiz.

Er prophezeite eine grosse Überraschung, auf die er dann anstossen werde. Und er sparte nicht mit Hohn und Verachtung gegenüber all den Nichtwissern und unkritischen Propaganda-Schluckern (also gegenüber allen, die nicht seiner Meinung waren). Um es im Klartext zu sagen: Herr Schibli, Sie sind ein unsäglicher Dummschwätzer und leiden an ideologischer Verblendung, die zu Wunschdenken führt. Das ist nichts gut schweizerisches. Das ist ein Nachäffen von Teaparty-Verblödung. Und ja, so ein Ruf bleibt haften.

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