Bei der Lektüre einer Abhandlung über politische Plakate im Deutschen Reich von 1871 bis 1918 bin ich in einem Kapitel, welches die Geisteswelt des Bildungsbürgertums zu rekonstruieren sucht, auf Julius Langbehn und dessen Werk «Rembrandt als Erzieher» gestossen. Dieses soll im ausgehenden 19. Jahrhundert, als das wilhelminische Deutschland verspätete Kolonial-Gelüste entwickelte und sich dem Bau einer grossen Flotte zuwandte, eine starke Wirkung gerade in Kreisen des Bildungsbürgertums entfalten haben.
Gemalt in schwarz-rot-gold? Selbstportrait des jungen Rembrandt.
Was aber haben Langbehn, die deutschen Bildungsbürger der wilhelminischen Epoche und die Populisten der Moderne miteinander zu tun? Ich will versuchen, es zu erklären. Populisten berufen sich bekanntlich überaus gerne auf die Bedürfnisse, Wünsche und Ängste des einfachen Volkes, das sie scharf abheben von einer Politikerkaste (in der Schweiz auch «Classe Politique» genannt, eine der wenigen französischen Vokabeln, die Christoph Blocher vor seiner Wahl in die Regierung bekannt gewesen sein dürften). Während das Volk moralisch gesund und im Alltag verankert ist, sollen die Politiker abgehoben agieren.
Interessant ist nun aber der Begriff des Volkes: Wer soll hier dazu gehören, und wer nicht? Und welche Instanz entscheidet über Inklusion und Exklusion? Was unterscheidet das Volk von der Bevölkerung? In den Augen Berlusconi’s dürfte das Volk nur aus denen bestehen, die ihn wählen – alle anderen sind bekanntlich «coglioni» (die Höflichkeit des Verfassers verbietet eine Übersetzung dieses Ausdrucks). Und auch bei der SVP dürfte es nicht viel anders aussehen. Wer nicht auf ihrer Linie liegt, ist wahlweise ein Berufspolitiker, ein professioneller Gutmensch, ein mangelhaft integrierter Ausländer, ein Scheininvalider oder was auch immer. Aber sicher nicht Teil des «Fholchs», wie Exponenten dieser Partei ihr Wahlvolk zu betiteln pflegen.
Ein Milliardär, ganz nah am Fholch: Christoph Blocher, Bundesrat a.D.
Das Volk als Gefolge?
Höchste Zeit, den argumentativen Schluss in Richtung Julius Langbehn hinzubekommen, oder? In besagter Abhandlung über Langbehn’s «Rembrandt als Erzieher» findet sich eine etymologische Herleitung des Terminus «Volk», die zwar wissenschaftlich betrachtet (wie die meisten Thesen Langbehns) Humbug sein, aber für SVP-Hardliner Sinn machen dürfte. Denn mit Langbehn teilen sich diese eine starke Orientierung an Nationalismus, Militarismus, Antimodernismus, Autorität und klare Führungsstrukturen – das Blocher-Prinzip lässt grüssen.
Wie also lautet Langbehn’s etymologische Herleitung?
«Wie ein Schiff, so kann auch eine Armee und wie ein Kunstwerk so kann auch eine Ministerkoalition nur von e i n e m Manne geleitet werden; …Der monarchische Beruf des Deutschen Volkes wird schon durch das Wort Volk – folk – selbst ausgedrückt; denn dasselbe bedeutet ursprünglich Gefolge; zu einem Gefolge gehört notwendig ein Führer.»
Bezogen auf die Schweiz, lässt sich feststellen: Die messianisch anmutende Heilserwartung, welche die meisten SVP-Anhänger mit Christoph Blocher verbinden, hat sehr wohl etwas von Führer- und Personenkult. Einen «monarchischen Beruf» würde für die Schweiz (abgesehen vom Schwingen und Jassen, wo es Könige gibt) wohl kaum jemand vermuten, aber in der historischen Figur des Landammanns gibt’s ein helvetisches Pendant für Autoritätsgläubige. Ganz zu schweigen von den Anknüpfungspunkten, die der Personenkult um den Weltkriegs-General Guisan bietet.
So sieht Personenkult aus: Wahlplakat der SVP aus dem Herbst 2007.
Wer die vier Jahre, in denen Blocher Teil des Bundesrates war, verfolgt hat, weiss zudem: Dieser Herr hat sich wie ein Landammann aufgeführt. Dass er einer von sieben gleichberechtigten Mitgliedern einer Kollegialregierung sei, wollte ihm nie recht einleuchten. Und nach seiner Abwahl verstiegen sich ein SVP-Parlamentarier gar zur Aussage «Wir bräuchten sieben Blochers im Bundesrat». Zum Glück, kann ich da nur noch anmerken, ist das Klonen von Menschen gesetzlich untersagt.
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