Mittwoch, 16. Juli 2008

Helga, die Russen kommen - und die ProTour ist am Ende

Dem Radsport stehen spannende Zeiten bevor: Die «ProTour» ist am Ende, und zugleich künden russische Investoren an, im grossen Stil in den Radsport einsteigen zu wollen.

Am ersten Ruhetag der diesjährigen Tour de France trafen sich in Pau die Vertreter der 17 anwesenden ProTour-Teams mit den drei wichtigsten Renn-Organisatoren der Radsport-Welt. Nach der Sitzung wurde bekannt gegeben, dass die 17 anwesenden Teams für die kommende Saison keine Lizenz für die höchste Liga des Radsports mehr lösen werden. Damit steht das ambitionierte Projekt «ProTour» vor dem Ende. Die Profi-Teams wollen sich statt dessen mit den drei grossen Organisatoren zusammen setzen, um die künftigen Spielregeln auszuknobeln.

Die Tücken der Vereinheitlichung
Die «ProTour» war vom ehemaligen UCI-Präsidenten Hein Verbruggen mit dem Ziel installiert worden, einen einheitlichen Rennkalender mit Startgarantie für die Teams der obersten Radprofi-Liga hin zu bekommen. Was gut klingt, ging manchen ans Eingemachte: So wollte die UCI auch die Vermarktung der bestehenden Rennen in Rahmen der «ProTour» vereinheitlichen – und so den Rennorganisatoren die wichtigste Geldquelle streitig machen.

Vater der ProTour-Tour und nun IOC-Mitglied: Hein Verbruggen, Strippenzieher aD.

Dieser Aspekt und der Wunsch, mehr kleinere, national ausgerichtete Teams (und keine Equipen, die das Land im Vorjahr fluchtartig verlassen hatten) bei den Landesrundfahrten zu berücksichtigen, führten zu ernsthaften Divergenzen der ASO (Tour de France, Paris-Nizza, diverse Klassiker wie Paris-Roubaix) und RCS (Giro d’Italia) mit dem Weltradsportverband. In der Folge verschwanden wichtige Rennen des Radsport-Kalenders aus der ProTour, was das Prestige dieser Wertung sinken liess. Als sich die ASO dieses Frühjahr auch noch bei der Vuelta-Organisatorin UniPublic mit 49% der Anteile einkaufte, waren die Fronten deutlich abgesteckt.

Doch auch die «ProTour»-Teams wurden mit der Startgarantie nicht so recht glücklich: Sich überschneidende Termine und die Pflicht, bei jedem Rennen dieser Serie anzutreten, zwangen dazu, bis zu 34 Fahrer pro Team unter Vertrag zu nehmen. Dies zog massiv steigende Kosten nach sich – in Zeiten zunehmender Zurückhaltung seitens der Sponsoren wegen anhaltender Dopingskandale ein echtes Problem. Und die ganzen Kosten fielen erst noch für einen Status an, der starker Erosion ausgesetzt war. So vermochte es auch nicht zu überraschen, dass Teams wie Liquigas oder Cofidis bereits vor der heutigen Entscheidungen verlauten liessen, dass sie ab 2009 auf den «ProTour»-Status verzichten würden.

Ungleiche Spiesse in Sachen Doping?
Spötter mögen nun anfügen, dass dies auch mit manchen Massnahmen der Doping-Bekämpfung zu tun habe, die nur «ProTour»-Teams beträfen. So bleibt das vielversprechende Programm eines biologischen Passes, der die entscheidenden Blut- und Hormonparameter jedes einzelnen Fahrers im Längsschnitt erfasst, aus Kostengründen auf die Teams der «ProTour» beschränkt. Und auch das Gentlemen’s Agreement, welches eine Verpflichtung ertappter Dopingsünder direkt nach Verbüssung der Sperre ausschliesst, gilt für die Teams der zweiten und dritten Liga nicht.

Dies und die Tatsache, dass etwa Portugal im Unterschied zu Spanien noch kein Antidoping-Gesetz kennt, hatte zur Folge, dass sich manche portugiesische Teams zu Filialen ehemaliger Fuentes-Kunden entwickelten. Mit dem traurigen Effekt, dass dieses Frühjahr ein gedopter portugiesischer Rennfahrer tot vom Radl fiel: Doping bringt einen schneller ans Ziel, vor allem wenn besagtes Ziel der Sarg ist. Dass ein in lustigem Grün gekleidetes Zweitdivisions-Team nicht nur die Bergetappen des Giro d’Italia nach Belieben dominierte, sondern auch gleich die Teamwertung mit grossem Vorsprung gewann, heizte die Diskussionen unter Fahrern, Journalisten und Zuschauern gleichermassen an. Auf diese Rechtsungleichheit zwischen den Teams wies die Vereinigung der Profi-Rennteams bereits Mitte Januar in einem Communiqué hin.

Quo vadis, Profi-Radsport?
Mit dem gestrigen Entscheid versetzen die 17 Profi-Teams und die drei grossen Rennorganisatoren der ungeliebten «ProTour» nun den Todesstoss. UCI-Präsident Pat McQuaid, der grimmig an den Vorgaben seines Vorgängers (und Mentors) Verbruggen festgehalten und eine Globalisierung der ProTour angestrebt hatte, war zum gestrigen Treffen nicht eingeladen. Der oberste Radsport-Funktionär reagierte auf die Kunde vom Ende der «ProTour» mit der trotzigen Ankündigung, dass man die Sportgruppen und deren Mitglieder aus dem Weltradsportverband ausschliessen werde, wenn sie an diesem Entscheid festhalten sollten. Das kommt einem vor, als ob einer noch trotzig all jenen ein «Ich schmeiss Euch raus!» hinterher brüllt, die sich eh schon für den Alleingang entschieden und der UCI den Rücken zugedreht haben.

Wie weiter, Mr. McQuaid? Die harte Tour hats nicht gebracht...


Ein solcher Ausschluss stellt die UCI zudem in Bezug auf den Profi-Radsport endgültig ins Abseits. Und nimmt zugleich die Rennorganisatoren wie die Teams in die Pflicht, eine ökonomisch wie medial funktionierende Neuordnung auf die Räder zu stellen. Für die UCI blieben dann als Spielwiese die unteren Ligen des Radsports, deren Fahrer bei Rennen wie der «Presidential Tour of Turkey», dem «GP Sotchi» oder der geplanten «China-Tour» um die goldene Ananas radeln dürfen. Sowie natürlich der ganze Nachwuchsbereich und all jene Disziplinen des Radsports, die nicht ganz so gewinnbringend zu vermarkten sind. Bezüglich ihrer Kernaufgaben verrichtet die UCI ja auch gute Arbeit – verwiesen sei etwas das «Centre Mondiale du Cyclisme» in Aigle, wo junge Radsportler aus aller Herren Länder ideale Trainingsbedingungen vorfinden und auch an Rennen teilnehmen können.


Die UCI kann auch anders: Das Centre Mondiale du Cyclisme zeigts.

Helga, die Russen kommen!
In diese unsichere Situation hinein platzte gestern die Meldung, dass russische Investoren ab der kommenden Saison mit ganz grosser Kelle im Radsport anrichten wollen. Dies, nachdem auf die Tour de France hin bereits die beiden bekannten Outdoor-Firmen Columbia und Garmin ins Radsport-Sponsoring eingestiegen sind. Und nun die Russen: Ein Konsortium der drei Grosskonzerne Gazprom, Itera und Rustechnologi spannt mit dem Brauerei-Unternehmer und Banker Oleg Tinkov zusammen, um ein neues Superteam auf die Räder zu stellen. Umgerechnet 50 Millionen Franken (30 Millionen Euro) jährlich wollen die Russen locker machen, wobei die Hälfte dieses Betrages in Radsportschulen in Russland und die andere Hälfte ins Profi-Team fliessen sollen. Der Teamname „Katjuscha“ lässt schon mal vermuten, dass man keine leisen Töne zu spucken plant.

Ein passendes Teamfahrzeug? Der Dachträger bietet dem Team Katjuscha schonmal genügend Platz für Ersatzräder.

Über Tinkov’s Ambitionen, mit seinem Zweitdivisions-Team auf die kommende Saison hin in die «ProTour» aufzusteigen, wurde schon länger gemunkelt. Und jeder Fahrer, der mit seiner Situation im bestehenden Team nicht zu hundert Prozent glücklich war, wurde mit Tinkov’s Rennstall in Zusammenhang gebracht. Ob Petacchi nach seiner Doch-noch-Sperre wegen Salbutamol oder Tom Boonen nach dem Pudern seiner Nase, ob Robbie McEwen oder Gerd Steegmans: Die Liste der Fahrer, die mit Tinkov und nun mit „Katjuscha“ in Zusammenhang gebracht werden, ist lang. Und soll – man höre und staune, auch Fabian Cancellara umfassen. Der würde mit auslaufendem Vertrag bei CSC und hoher Gehaltsforderung (man munkelt von 2 Millionen Euro Fixum pro Jahr) bestens ins Profil der Russen passen.

Unternehmer, Lebemann und nun Radport-Krösus: Oleg Tinkov.

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