Montag, 31. Dezember 2012

Das Speibsackerl der Kalenderwoche 52


Weil Paranoia und Trotz schlechte Ratgeber sind, geht das Speibsackerl der Kalenderwoche 52 stellvertretend für die ganzen waffengeilen Weirdos und Wackos in den USA an den Twitter-User @CultureKill, der Knarren für einen Ausdruck von Zivilisation und die progressive Erziehung für die Ursache von Amokläufen hält.


Vor Weihnachten sorgte wieder einmal ein Amoklauf für Betroffenheit in den USA: Ein geistig leicht gestörter, im Umgang mit Angriffswaffen dank Mutti bestens geschulter Jüngling schnappte sich Mamis Waffen, legte zuerst sie und danach 6 Lehrerinnen und 20 Kinder um. Sogar die Waffenlobby NRA verstummte nach der Wahnsinnstat von Newtown für eine volle Woche, ehe deren Sprecher Wayne LaPierre sich zum Vollhorst machte und allen Ernstes forderte, dass Schulen keine waffenfreien Zonen mehr sein dürften. Denn dies mache sie zu Angriffszielen für potentielle Amokläufer. Ja, richtig: Es brauche bewaffnete Wachen vor jeder Schule.

Ein Kreuz pro Schusswaffen-Opfer: Szene aus Newtown.

Waffen: Lösung oder Problem?
Wie die NRA und Wayne LaPierre sind auch viele Amerikaner der Meinung, dass die Lösung des Problems der Waffengewalt in den USA in noch mehr Waffen liegt. Einem Verschuldeten gibt man schliesslich auch Kredit, einem Junkie Heroin frei Haus, oder? Als es um die Ursachen der Amokläufe ging, feuerte die NRA eine Breitseite ab auf die Unterhaltungsindustrie, die Kultur der laschen Erziehung und sonst noch so einiges. Nur eines blieb ausgespart: Der in den USA wahnwitzig verbreitete Waffenbesitz: Auf 310 Millionen US-Amerikaner kommen rund 300 Millionen Schusswaffen.

                   
                   
                   
                   

Auch bezüglich der Tötungen durch Schusswaffen pro 100'000 Einwohner liegen die USA weit vor jedem anderen, entwickelten Land ohne Bürgerkrieg - etwa um den Faktor 15. Dem widerspricht nicht einmal die NRA. Also stellt sich die Frage: Was unterscheidet die USA von den anderen, entwickelten Ländern? Welche Abweichung kann die Häufigkeit von Tötungen durch Schusswaffen erklären? Laut NRA und @CultureKill kann es nicht an den Waffen liegen, denn diese seien bloss ein Instrument, ein Werkzeug wie ein Hammer oder eine Zange. Nicht Waffen, sondern Menschen töten, krakeelen die Knarren-Fetischisten unverdrossen.


Was ist in den USA anders?
Nun gibt es auch in der Schweiz viele Waffen. Bloss: Während der Waffenbesitz hier zu Lande ziemlich liberal gehandhabt wird, schaut es beim Waffentragen ganz anders aus: Wer ausserhalb der eigenen vier Wände bewaffnet unterwegs sein will und kein Polizist ist, muss einen Waffen-Tragschein beantragen und dafür eine Bedrohung geltend machen. In den USA gibt es so etwas nicht, im Gegenteil: In manchen Bundesstaaten dürfen Studenten gar mit einer Schusswaffe in den Hörsaal. Irrsinn? Nicht für US-Waffenfans, denn die finden: Nur ein guter Kerl mit einer Waffe kann einen bösen Kerl mit Waffe stoppen. In Europa überlässt man dieses Stoppen gut geschultem Personal - ich verweise auf das territorial begrenzte, staatliche Monopol zur legitimen Anwendung von Gewalt.

Diese Karikatur erschien schon 2011, nachdem die Kongressabgeordnete
Gabriele Giffords von einem bewaffneten Verwirrten niedergestreckt worden war.

Aber der Irrsinn geht noch weiter: Während es in der Schweiz nicht so einfach ist, an Munition heran zu kommen, kann man diese zum Beispiel im WalMart in den Staaten in grossen Mengen kaufen. Und während manche Bundesstaaten beim Waffenerwerb einen "Background Check" verlangen, also einen sauberen Leumund und keine schweren psychischen Erkrankungen, wechseln 40% der Waffen ihren Besitzer an Waffenbörsen, wo es keiner solchen Abklärungen bedarf. Es ist also festzuhalten: In den USA ist es nicht nur einfacher, an Waffen heran zu kommen. Auch die Munition ist frei käuflich, und das Waffentragen wird sehr leger gehandhabt - der Wilde Westen lässt grüssen.

Progressive Erziehung als Zeitbombe?
All diese Merkwürdigkeiten sind für die NRA und den Twitter-User @CultureKill aber hochzuhaltende Traditionen. Und @CultureKill bringt ein anderes Argument, das er freilich mit keinerlei Zahlen oder Studien zu belegen vermag oder nur schon versucht: Die progressive Erziehung verwirrt junge Männer (und fast nur Männer und fast immer Weisse, möchte man anmerken) so nachhaltig, dass sie sich in der Welt nicht mehr zurecht finden und Amok laufen. So einfach ist das: Schuld sind nicht lasche Waffengesetze, sondern die progressiven Werte und die Erzieher, die damit die Kinder vergiften. Das schliesst an an Mick Huckabee's Erklärung, wonach die Abwesenheit von Gott an Schulen diese zu Schauplätzen von Amokläufen mache.


Nun, ich habe schlechte Nachrichten für die durchgeknallten, reaktionären Knarren-Fetischisten vom Schlage eines @CultureKill: Was in den Staaten als progressiv (und damit als höchst verdächtig) gilt, ist in Europa bestenfalls moderat - je nördlicher und weniger katholisch, desto mehr trifft dies zu. Progressive Erziehung ist somit kein Alleinstellungsmerkmal der USA und eignet sich daher mitnichten als Sündenbock. Wie auch die Amokläufe nicht aufhören werden, wenn die USA in die Bigotterie der 50er Jahre zurück fallen sollten. Und nein, einen Anders Breivik seh ich nicht als Opfer progressiver Erziehung, sondern als von Fremdenhass vergifteten Wirrkopf.


Die Lösung des Komikers Chris Rock: 5000 US-Dollar pro Kugel,
dann hört das Morden mit Schusswaffen sehr schnell auf. Brilliant!

Bei nüchterner, unvoreingenommener Betrachtung dürften zwei Faktoren die Häufigkeit von durch Schusswaffen herbei geführten Todesfällen in den USA erklären: Einmal die Verklärung der eigenen, sehr gewaltsamen Vergangenheit, wo angesichts eines riesigen Landes und des noch jungen Staates Selbstjustiz etwas ganz normales war - Stichworte Frontier und Wilder Westen. Und ja, es ist die einfache Verfügbarkeit von Waffen und Munition in Kombination mit laschen Kontrollen derjenigen, die sich bewaffnen wollen. So gelangen Waffen in die Hände von Leute, die davon fern gehalten werden sollten. Und vor allem gilt: Waffen machen Feiglingen das Töten viel zu einfach. Hätte Adam Lanza 20 Kindern und 6 Lehrerinnen die Schädel mit einem Stein zertrümmert? Eben, meine Argumentation ist damit abgeschlossen.

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