Sonntag, 22. Juni 2008

(Crash Test) Dummie

Gestern Samstag wurde der «BielTrail» bei bestem Wetter offiziell eröffnet: Die vom Verein Trailnet eigens für Biker erstellte Downhill-Strecke verbindet Magglingen mit Biel – und hat es in sich.

Aber schön der Reihe nach: Am Samstag Morgen wurde ich um 8 Uhr früh von Michael Suter abgeholt, der am «BielTrail»-Eröffnungstag für saubere Actionbilder zuständig war. Auf dem Weg quer durchs Mittelland nach Biel machten wir noch einen Abstecher in Hinterland, um bei Andreas Willimann in Aetigkofen ein Testbike in Empfang zu nehmen: Das «Mission 9» des deutschen Produzenten Solid war uns bereits an der Eurobike im vergangenen Herbst aufgefallen, nun war es an der Zeit, dieses Bike in seinem angestammten Einsatzgebiet einmal tüchtig durchzukneten, um Praxiseindrücke zu sammeln.

Testobjekt Nummer 1: Das «Mission 9» von Solid.

Am Tag vor der Eröffnung hatte mir die Paketpost zudem ein «Assault Jacket» von iXS Sports Division zugestellt: Dieses sollte auf Funktion, Tragekomfort und Passform getestet werden, und was eignet sich dazu besser als ein heisser Sommertag auf einer neu erstellten Downhill-Strecke? Die ersten vier Fahrten verliefen denn auch ohne Probleme: Suti machte zusammen mit den Jungs vom «180 Shop»-Rennteam spektakuläre Action-Bilder, und auch ich huschte einige Male an Bord des «Mission 9» vor seiner Linse durch.

Krone der Schöpfung oder tumbes Gewohnheitstier?
Zum Verhängnis wurde mir dann die fünfte Abfahrt. Oder genauer die Tatsache, dass der Mensch theoretisch zwar ungemein anpassungsfähig, im Notfall aber ein tumbes Gewohnheitstier ist. Denn für diese Abfahrt hatte ich das Testradl von Solid einem Kumpel gegeben und mir statt dessen sein Bike gekrallt. Dass er bezüglich der Einstellung der Bremsen, besonders des Druckpunkts, einer komplett anderen Philosophie folgt als ich (der Druckpunkt liegt bei meinen Bikes jeweils weit vom Lenker weg, bei seinem hingegen fast ganz am Lenker), hielt ich für unproblematisch – und verzichtete darauf, an seinen persönlichen Einstellung für eine einzige Abfahrt Änderungen vorzunehmen.


Bodyguard zum Anziehen - oder 160 Euro, die einem das Krankenhaus ersparen.

Das ungewohnte Set-Up der Bremsen war auch unproblematisch, bis das Geläuf erstmals so richtig ruppig wurde und ich nach einem kleinen Vertikalabsatz – für mein Gefühl – beim Bremsen komplett ins Leere griff: Keinerlei Verzögerung, dafür steiles Gelände, fiese Felsen und kein Ausweg, der schmerzlos erschien. Meine Entscheidung, die Route zu verlassen und im Dickicht zum Stillstand zu kommen, erwies sich als suboptimal: Kaum dass ich vom Weg abgekommen und denkbar knapp an einem Baum vorbei gesirrt war, hebelte es mich aus dem Sattel.

Wenn Momente ewig dauern
Für eine gefühlte Ewigkeit hing ich in der Luft, gefasst auf den zweifellos schmerzhaften Aufprall – Schutzausrüstung hin oder her. Da ich bei meiner Arschbombe rücklings in die Felsen genau mit einer Stelle einschlug, die nicht durch Polster geschützt ist, dürfte Mr. Murphy und seinem Gesetz zu verdanken sein. Ausgesehen haben muss die Aktion ziemlich fies: Zwei Biker, die an besagter Stelle kurz angehalten und damit einen Logenplatz hatten, um meinen Abgang zu verfolgen, waren sofort zur Stelle und fragten besorgt, wie es mir gehe und ob sie einen Krankenwagen rufen müssten.


Helm und Handschuhe, Knie-/Schienbeinschützer sowie der Oberkörper-Schutz - nicht im Bild die Goggles und die Dainese-Trägerhose mit Polstern für Hüftknochen und Oberschenkel.

Während dessen konstatierte ich, dass sich von der Hüfte aus ein stechender Schmerz seinen Weg in Richtung Oberschenkel und Rücken bahnte – und vor allem, dass ich keine Luft bekam. Nach etwa einer Minute, in der ich abwechselnd nach Luft schnappte, vor Schmerzen stöhnte und derbe fluchte, rappelte ich mich wieder auf, krallte mir das fast unbeschädigte Bike vom Kumpel und rollte in der Folge vorsichtig den Berg runter - na ja, zwei Sprünge hab ich aus Gewohnheit trotzdem mitgenommen. Bei der Talstation des Funic angekommen, entledigte ich mich der Schutzausrüstung, desinfizierte einige Wunden und inspizierte den Schaden – im Bewusstsein, dass der schlimmste Moment beim Aufwachen am kommenden Morgen noch kommen sollte.

Gestatten? Bluterguss, wachsend...
Inzwischen ist dieser Moment überstanden (muskuläre Prellungen tun erst dann höllisch weh, wenn die Muskulatur nicht mehr auf Betriebstemperatur ist und man sich eine ganze Weile nicht oder kaum bewegt hat), und der Übergang von der Hüfte zum unteren Rücken beginnt sich langsam einzufärben – noch in einem dezenten Dunkelrot, das dann über Blau ins Gelbliche verfärben wird. Aber die Schwellung ist im Vergleich zum Vorabend, als meine rechte Arschbacke derjenigen von Jennifer Lopez glich, bereits deutlich zurück gegangen. Vor allem ist das taube Gefühl in der rechten Wade, wohl durch eine Überstreckung des Beins beim Aufprall ausgelöst, wieder weg, was mich beruhigt.

Noch ists bloss eine grossflächige Hüftprellung - die Farben folgen in der kommenden Woche.

Genauso wie die Tatsache, dass bei diesem wüsten Abgang weder Knochen noch innere Organe zu Schaden gekommen sind. Denn morgen geht’s weiter nach Livigno, wo GT ein neues Downhill-Bike vorstellt. Mal schauen, wie es dann mit der Bewegungsfreiheit steht. Ohne die ganze Schutzausrüstung hätte mich dieser Sturz wohl ins Krankenhaus gebracht – so aber kann ich bereits am ersten Tag des Testens auf einen echten Ernstfall verweisen.

Lehren aus der Geschichte?
Für die Zukunft weiss ich, dass ich mir die lumpigen zwei Minuten Zeit nehmen werde, um den Druckpunkt der Bremsen an meine Gewohnheiten anzupassen. Denn wenn’s hart auf hart kommt, ist der Mensch nun einmal ein ganz sturer Esel, ein unflexibles Gewohnheitstier jenseits aller Ansprüche, die Krone der Schöpfung zu sein. Eine Erkenntnis, die ich seit gestern mit einigen Schmerzen und vorübergehend eingeschränkter Beweglichkeit bezahle.

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