Eigentlich wollte ich Taipeh per Mietrad erkunden – das verspricht maximale Flexibilität und einen grossen Aktionsradius. Leider scheint die Stadtregierung das Projekt, an ausgewählten Metro-Stationen Mieträder anzubieten, aber aufgegeben zu haben. So setzte ich statt dessen auf die U-Bahn – und machte mich, ausgestattet mit einem rudimentären Stadtplan und einigen Tipps der Receptionistin, auf den Weg. Zuerst galt es, taiwanesische Dollars aufzutreiben, also musste ein Bankomat her. Der erste Versuch in einem Postamt scheiterte an der Technik: Ich bekam bloss eine Quittung, aber kein Bares. Besser lief es dann in der Eingangshalle des «101 Towers» am Bankomaten der Scottish Royal Bank.
In der Folge will ich die Eindrücke in Sachen Taipeh thematisch bündeln, um etwas System in die Vielfalt der Eindrücke zu bringen. Diese lassen sich in Wort und Bild ohnehin nur höchst unvollständig festhalten: Ob Fischmarkt, Abgase von hunderten Scootern oder Stinky Tofu, ein Duftsimulator wäre am PC angebracht. Ganz zu schweigen von der durch Verkehr, Bauarbeiten und landende Flugzeuge erzeugten Geräuschkulisse. Die lässt nur einen Schluss zu: Verglichen mit Taipeh wird manche Stadt zum Dorf. Zürich? Sowieso.
In die Höhe bauen – ob mit Pomp oder aus Not
Aber immer schön der Reihe nach – beginnen möchte ich mit dem städetbaulichen Aspekt. Taipeh ist eine verdichtete, verschachtelte und in die Vertikale wachsende Stadt. Und eine Stadt der Gegensätze, denn die dichte Bebauung wird nicht nur von breiten, stark befahrenen Strassen durchzogen.
Auch teils aufwändig angelegten Parks sorgen für Abwechslung – und zumindest ein wenig Ruhe und Abstand vom Verkehr. Denn dieser kann einem auf den sechs- bis achtspurigen Hauptverkehrsachsen bald einmal gehörig auf den Senkel gehen.
Neben diesen grünen Lungen stechen weitere Gegensätze ins Auge: Neben prächtigen, neuen Hochhäusern wie dem «101 Tower» und perfekt in Stand gehaltenen historischen Gebäuden wie dem Laoshan-Tempel mitten im geschäftigen Zentrum gibt’s auch viel Wohnraum zu sehen, der gleichermassen von prekären sozialen Verhältnissen und der Gabe der Chinesen zur freien Improvisation zeugen.
Aber um diesen zu sehen, muss man sich anstrengen. So sind auf vielen Flachdächern notdürftige Aufbauten zu entdecken, die aus Wellblech, Brettern und Plastik gefertigt sind. Und auch abseits der grossen Verkehrsadern gammeln viele Häuser vor sich her. Wer so wohnt, hat mit Garantie eher noch ein Stück Monat am Ende des Geldes übrig als umgekehrt.
Ein Blick auf den monumentalen Schrein Sun Yat-sens, vor dem Schulklassen turnen.
(Den noch grösseren Schrein Tschiang Kai-Cheks verhüllten grad Baugerüste.)
(Den noch grösseren Schrein Tschiang Kai-Cheks verhüllten grad Baugerüste.)
Erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist
Aus der eigenen Geschichte leitet Taiwan das Selbstverständnis ab, das «freie» China zu sein. Und spart nicht beim Pomp, wenn es darum geht, die beiden Väter Taiwans gebührend zu verehren: Die Rede ist von Sun Yat-sen und Tschiang Kai-check. Beiden ist gemein, dass ihnen in monumentalen, von der Optik her auf alte Shinto-Tempel getrimmten Schreinen gedacht wird. Ein genauer Blick reicht, um die tragende Struktur unter all dem Zierat als schnöden Stahlbetonbau zu entlarven.
Kurios ist nun, dass der öffentliche Raum in Taiwan geradezu von Verbotsschildern verseucht ist. Klar, in China kann man fast schon deklarieren, was erlaubt ist – und alles andere ist dann verboten.
In Taipei scheint zu gelten: Was nicht ausdrücklich über Schilder verboten wird, ist erlaubt. Entsprechend hoch ist denn auch die Regulierungsdichte. Aber manche der Bestimmungen in Taipeh muten doch eher seltsam an.
Und sind oft gegen Obdachlose gerichtet, die man immer wieder in Pärken und Unterführungen antrifft. Die Maschen des sozialen Netzes scheinen weit zu sein – weiter auf jeden Fall als das Netz der unsinnigen, allerorten ausgeschilderten Verbote. Und auch die Spannweite im sozialen Gefüge Taipehs erscheint mir enorm.
Mobil, als ob es kein morgen gäbe
Obwohl Taipeh über ein leistungsfähiges U-Bahn- und Busnetz verfügt, gelangen die meisten Einheimischen individuell motorisiert von A nach B. Fahrräder werden nur von sehr alten oder sehr jungen Leuten benutzt.
Oder von einem Elternteil und einem Kind gemeinsam, wie einige kuriose, teils faltbare Konstruktionen zeigen. Wem das noch nicht reicht, für den oder die gibst Varianten für zwei Kinder - wir sind ja nicht in Festland-China mit der Einkind-Politik.
Ganz vereinzelt trifft man gar auf die Spezies Radsportler – keine Ahnung, wie die am Leben bleiben und Luft bekommen, aber auf jeden Fall Respekt an die Wenigen, die sich den Spass nicht verderben lassen (mehr dazu weiter unten).
Schon eher die Regel ist für die Fortbewegung ein Auto oder noch lieber ein Scooter: Die Dinger sind laut und Dreckschleudern, und viele der Fahrer interpretieren die Verkehrsregeln zumindest sehr frei. Auch Gehsteige sind keineswegs vor diesen Kaffeemühlen auf Rädern sicher, egal wie wenig Platz bleibt. Es empfiehlt sich für Fussgänger auf jeden Fall, die Scooter-Meute selbst dann im Auge zu behalten, wenn man selbst grünes Licht hätte – was in der Regel erdauert sein will, aber dann doch kaum respektiert wird.
Oft sind diese Scooter, von denen pro Jahr in Taiwan 1.5 Millionen Stück verkauft werden und mittlerweile 30 Millionen zugelassen sind (bei 23 Millionen Einwohnern...) abenteuerlich bepackt, etwa mit Hilfe von Packtaschen, die auf beiden Seiten genug Platz für je ein Mastschwein bieten. Einige Male sah ich gar, dass zwischen den Füssen von Herrchen oder Frauchen noch ein kleiner Hund auf dem Roller transportiert wurde.
Bei mir bildete sich schnell eine Aversion gegen die lärmigen Drecksschleudern, die an den Ampeln zur Stosszeiten in Herden von bis zu 100 Exemplaren loswetzen. Und darum vermochten einige verendete Scooter am Strassenrand bei mir auch kein Mitleid zu erregen. Geschieht den Dingern ganz recht, ha!
Eine Trouvaille an der Autobahn
Als veritable Trouvaille erwies sich schliesslich das «Museum of Fine Arts», und das trotz seiner peripheren Lage an einer Autobahn-Ausfahrt und in der Einflugschneise des Stadt-Flughafens.
Und das unabhängig von den gerade gezeigten Kunstwerken, denn der Bau mit seiner verschachtelten Aussenfassade, scheinbar frei hängenden Stockwerken und riesigen Fensterflächen ist der Star.
Zumal er von einem grosszügig angelegten Park mit einer sehenswerten Brunnen-Anlage umgeben ist. Wenn grad mal kein Flieger zur Landung ansetzt, kann es dort sogar richtig lauschig sein.
Assortierte Beobachtungen - was sonst noch in Auge und Nase sticht
Produktepiraterie ist auch in Taiwan kein Kavaliersdelikt mehr – man gehört ja zur WTO und will sich von Festland-China unterscheiden. Also steht «Dolce & Garbana» auf diesem Faltrad. Warum nicht gleich Dolce & Banana?
Ein Geheimprojekt von GT? Roger Rinderknechts heimliches Bahnhofsvelo? Keine Ahnung, wie die Old-School-BMX-Sticker von GT auf dieses pinke Damenrad geraten sind. Aber der Verbleichungsgrad der Aufkleber lässt vermuten, dass sie vor langem angebracht wurden.
Diese alte S-Klasse wäre eigentlich einen eigenen Eintrag unter dem Tag «Bad Style» wert – inklusive Kunstfell am Steuer und Plüsch auf dem Dashbord.
Auch ohne Motor ist man in Sachen Gepäcktransport in Taipeh erfinderisch, wie dieser «Bonsai-Bakfiets» zeigt. Vom Schosshund bis zu den Einkäufen passt so manches in die Rahmentasche.
Da ich den mitten in der Stadt gelegenen Laoshan-Tempel schon erwähnt habe, will ich den Besuchern meines Blogs auch diesen nicht unterschlagen:
In verschiedenen, verwinkelten Gassen des alten Teils von Taipeh kann man auf Märkten so ziemlich alles bekommen, was man im Prinzip essen kann (aber eigentlich besser nicht sollte).
Selbst in der exotischen Spezies der Radfahrer gibst noch besonders schräge Vögel. Wie diese beiden Rennradler, die Smog und tosendem Verkehr trotzten.
An verschiedenen Orten zeigt sich auch die koloniale Vergangenheit Taiwans: Die Portugiesen segelten bloss vorbei, die Holländer gründeten mit Fort Zeelandia am Südzipfel die erste Kolonie.
Nach den Chinesen, die unter der Qing-Dynastie die Insel eroberten, hatten von 1898 bis 1945 die Japaner das Sagen. Spuren haben sie alle hinterlassen. Nicht nur in Form von Bauten.
Ich hoffe, die Lektüre und die Bilder haben Spass gemacht - die kommenden Tage werde ich mich wegen des vollen Programms wohl oder übel kürzer fassen.
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