Samstag, 4. Dezember 2010

91.4 Prozent: Zur Hölle mit Pfyn

Weil die Städte ablehnten und das Land zustimmte, war schnell klar: Bei der Abstimmung zur Ausschaffungsinitiative lief einiges schief – in den Köpfen der Landbevölkerung, vornehmlich.

Wenn eine Initiative, welche die automatische Ausschaffung straffälliger Ausländer bei einem noch näher vom Parlament zu bestimmenden Deliktkatalog (hat da jemand Willkür gesagt, oder Katze im Sack?) vorsieht, am deutlichsten in Kantonen wie Schwyz, Appenzell Innerrhoden und Thurgau angenommen wird, dann kann man schon einmal konstatieren: Mit real erlebten Problemen hat Volkes’ Votum einmal mehr wenig zu tun.

Wenn nun noch ein Kaff wie Pfyn mit 91.4 Prozent Ja-Stimmen schweizweit obenaus schwingt, bestätigt sich der Befund: Je weniger die Leute im Alltag mit Ausländern zu tun haben, zumal mit kriminellen, desto eher waren sie bereit, der gegen bindendes Völkerrecht und weitere hohe Güter im Rechtsstaat verstossenden Initiative der SVP zuzustimmen. Denn in Pfyn gibt’s ausser Gebrauchtwarenhändlern, Landmaschinen-Mechanikern und einer Schokoladenfabrik fast nur noch Bauernhöfe und adrette Einfamilienhäuschen.

Der Ausländeranteil bewegt sich mit 10 Prozent auf einem sehr überschaubaren Level und liegt deutlich unter dem Landesschnitt, Ausländerkriminalität dürfte ein Phänomen sein, das die Bewohner Pfyns aus dem Blick und aus der SVP-Parteipropaganda kennen. Irgendwie erinnert mich die Sache an dieses Dorf im mexikanischen Hochland, das aus lauter radikalen Antisemiten bestand, obwohl nie auch nur ein Jude das Dorf betreten hatte. Aber der Pfarrer war radikaler Antisemit – und hatte seine Schäfchen entsprechend indoktriniert.

Käffer wie Pfyn, wo Sachabstimmungen als Protestgelegenheit missbraucht und Entscheide weder auf Grund eigener Erfahrung noch gemäss den realen Eigeninteressen gefällt werden, sind demokratietheoretisch Problemfälle. Das Forschungsinstitut GfS erklärt solches Stimmverhalten damit, dass die Menschen auf dem Land die Vorrechte der Schweizer gegenüber den Ausländern verstärkt bewahren wollten. Dies scheint mir eine arg wohlwollende Analyse.

Man könnte auch sagen: Wieder einmal hat eine Mehrheit der Abstimmenden in der Schweiz vor den Grossen und Reichen (und deren Drohung mit einer Auswanderung im Falle einer Annahme der Steuerinitiative) gekuscht und dafür das eigene Mütchen an einer Gruppe gekühlt, die im Lande noch weniger zu sagen hat. Nach oben bücken, nach unten treten: Mich kotzt diese Art von Stimmbürger endlos an, dieser Menschenschlag, der nie offen Kritik äussert, aber aus der Anonymität zu umso unüberlegteren Aktionen fähig ist.

Wenn die Faust im Sack als Stimmzettel in die Urne wandert, wird’s unappetitlich. Immer wieder.

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