Mittwoch, 16. Januar 2008

ACP 215: Wiener Blut

Zur Zeit ist das Wiener Blutlabor «Human Plasma» in aller Munde. Erstmals fiel der Name in Zusammenhang mit dem Dopingskandal, den die österreichischen Nordischen Skisportler am Rande der Olympischen Spiele von Turin mit ihrer überstürzten Abreise boten. Die Art, wie der Skandal nun aufbereitet wird, verrät viel über die Logiken und Mechanismen medialer Skandalisierung und nationalistisch motivierten Heimatschutzes im Sport.

Die Fakten zuerst: Laut der ARD-Dopingredaktion unter Hajo Seppelt sollen beim Labor «Human Plasma» über 30 Athleten in Behandlung gewesen sein, die Mehrzahl davon aus Deutschland und in den Nordischen Disziplinen Biathlon und Langlauf aktiv. Das besagte Labor soll bereits seit dem November 2007 auf Betreiben des mittlerweile abgetretenen WADA-Präsidenten Dick Pound unter Beobachtung gestanden haben, laut der «Süddeutschen Zeitung» gar durch Privatdetektive.


Das Gerät des Anstosses: Modell «ACP 215» der US-Firma Haemonetics.


Zudem war «Human Plasma» laut der ORF-Website im Besitz eines Gerätes namens «ACP 215» der US-Firma Haemonetics. Dieses 25 Kilogramm schwere, hochspezialisierte Gerät, das locker-flockige 47'000 US-$ kostet, kann mit Hilfe einer Zentrifuge die roten Blutkörperchen und das Plasma voneinander trennen, was eine längere Aufbewahrung von Eigenblut im Tiefkühler erlaubt. Auch Eufemiano Fuentes hatte übrigens zwei identische Geräte in seinen Labors in Betrieb. Umso mehr überraschen da die Aussagen der Geschäftsführer von «Human Plasma», wonach man gar nicht über die nötige Infrastruktur für Eigenblutdoping verfüge. Eine Darstellung, die laut dem Online-Portal «Radsport Aktiv» nicht von allen Experten und Beteiligten geteilt wird. So hält der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel das Wiener Labor für punkto Ausstattung und Vorgehen professioneller als Fuentes und die Uniklinik Freiburg, und auch Arnold Riebenbauer, ein im Zusammenhang mit dem Dopingskandal von Turin ermittelnder Richter aus dem Bundesland Kärnten, widerspricht der Darstellung des Labors.

Wie stehts nun um die Zusammensetzung der Kundschaft von «Human Plasma»? Interessanterweise hatte die Qualitätszeitung «Die Zeit» bereits im November 2007 über das verdächtige Labor in Wien berichtet, dabei aber nur österreichische Wintersportler als mögliche Kunden genannt – kein Wort von Radprofis. Laut der ARD-Sport-Website, welche bereits am 9. Januar knapp über den Sachverhalt orientierte und den Skandal in diesen Tagen prominent publizierte, ist wortwörtlich die Rede von «mindestens 30 Sportlern, welche die Dienste der Blutbank in Wien in Anspruch genommen haben sollen. Rund zwei Drittel der Athleten stammten demnach aus Deutschland. Es handele sich um Sportler aus den Bereichen Biathlon und Skilanglauf, die zumindest zum Teil zur Weltspitze gehören.» Die Sportler sollen jeweils am Sonntag Morgen behandelt worden sein, wenn der sonstige Laborbetrieb ruhte.

Der Stein des Anstosses: 500ml-Blutbeutel, hier ausm Kühler von Fuentes.
(Quelle: Bildarchiv Focus)

Ach ja. Die Erfolge des DSV in den nordischen Sparten Langlauf und Biathlon waren in den vergangenen Jahren wirklich beachtenswert. In derselben Ära, während der die Angerers, Teichmanns, Glagows, Neuners und Greis jede Menge Medaillen einfuhren, fielen auch einzelne Athleten negativ auf – und damit meine ich noch nicht einmal Juanito Mühlegg, der erst nach seinem Verbandswechsel nach Spanien als Doper aufflog. Eher ziele ich auf die offensichtlichen Schwierigkeiten einer Evi Sachenbacher-Stehle, die Blut-Grenzwerte einzuhalten. Was die einen bei diesem feschen Mädel als Folge von natürlich überhöhten Werten sehen wollen, ist für andere ein klares Indiz dafür, dass man hier zu forsch an die Grenzwerte heran zu dopen versucht. Was auch immer der Grund sein mag, die erhöhten Blutwerte der Evi führten an den Olympischen Winterspielen von Turin zu einer fünftägigen Schutzsperre (im Radsport sind für das selbe Vergehen statt 5 ganze 14 Tage Pause fällig, aber das ist wieder ein anderes Thema).

Wie aber berichten nun die Medien über den Fall?
Während bei den nordischen Athleten, die im Falle von «Human Plasma» wohl den Hauptharst der Behandelten stellen, keinerlei Namen genannt werden, gelten für die Radsportler nur allzu offensichtlich andere Standards – und vor allem gilt keine Unschuldsvermutung. Frei nach dem Motto, dass das Image des Radsports eh schon im Arsch ist, werden Fahrer namentlich genannt. Das beginnt mit Michael Rasmussen: Der Däne gilt seit seinem Tour-Ausschluss in Folge von Lügengeschichten über seinen Aufenthaltsort ohnehin als Vorzeige-Doper. Aber es setzt sich mit Fahrern fort, die bisher noch nicht aktenkundig waren, wie Rasmussens einstigen Rabobank-Teamkollegen Denis Menchov und Michael Boogerd, aber auch Georg Totschnig, dem erfolgreichsten österreichischen Radprofi der vergangenen zehn Jahre.
Letzterer ist in Österreich der naheliegende Aufmacher für die Berichterstattung über den Humanplasma-Skandal, etwa beim «Standard», beim «Kurier» oder bei den «Oberösterreicher Nachrichten». In den meisten anderen Ländern, also auch in Deutschland, ist es Michael Rasmussen – bei dem liegt die Assoziation zum Thema Doping halt besonders nahe. Daneben werden Dementis von Wintersportlern und Bundestrainern in Serie veröffentlicht, und Jochen Behle als Langlauf-Bundestrainer der Herren versteigert sich gar zur unhaltbaren Aussage, dass er für seine Sportler die Hand ins Feuer lege. Da wünsch ich schon mal ein frohes Grillfest, Herr Behle.

Diesen Vorgang muss man sich nochmals auf der Zunge zergehen lassen: Da enthüllt also der Erste Kanal des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland (ARD) einen Skandal, an dem mehrheitlich deutsche Athleten aus den Nordischen Disziplinen beteiligt sein sollen. Und was wird dem Publikum als mediales Bauernopfer hingeschmissen? Richtig, ein paar Radprofis ohne deutschen Pass. Wer dies als unseriös, ja als Verarschung des Medienpublikums wahrnimmt, dürfte so falsch nicht liegen. Genauso gut kann man es als vorauseilenden Bückling vor dem DSV als mächtigem Sportverband und Vertragspartner bei den Senderechten sehen. Oder man hat schlicht Angst vor Verleumdungsprozessen, wenn man auf andere Sportler als die bereits weichgekochten Radprofis zielt.

Konsequenz ist gefragt!
Man darf gespannt sein, ob die ARD tatsächlich weiter bohren und damit ihre umfangreiche Berichterstattung über Langlauf und Biathlon in Frage stellen will – wie sie dies im vergangenen Sommer an der Tour de France vorexerziert hat. Glaubwürdigkeit ist keine feste Grösse, man muss sie sich verdienen – und zwar durch ein konsequentes Vorgehen, ohne Scheuklappen, ohne nationalistischen Heimatschutz, ohne falsche Rücksichten auf Vertragspartner. Die jüngsten Verlautbarungen aus der ARD-Dopingredaktion klingen allerdings reichlich kleinlaut: Plötzlich soll es sich nur noch um Uralt-Fälle bereits zurückgetretener Athleten handeln (aber die Radprofis gingen dort noch bis in die jüngste Vergangenheit ein und aus, diese Ewiggestrigen...), meint Hajo Seppelt.

Die ARD, durch die enge Kooperation mit dem inzwischen als Doping-Fabrik verschrieenen Telekom-Team ohnehin ein gebranntes Kind, hat im vergangenen Sommer den Tarif bekannt gegeben – jetzt ist Konsequenz gefragt. Auch wenn dabei nationale Sportheroen vom Sockel stürzen sollten. Denn wenn dieser Sockel aus verbotenen Substanzen und Methoden besteht, wie die bisherigen Enthüllungen rund um das Wiener Labor «Human Plasma» nahe legen, dann ist auch die Heldenverehrung müssig.

Ich verfolge die weitere Entwicklung dieses Skandals mit Interesse – und ob und wann auch Namen von Deutschen Wintersportlern genannt werden. Wie bisher berichtet wurde, kann auf jeden Fall nicht als seriös gelten. Einmal mehr muss der Radsport zur Aufarbeitung eines Dopingskandals herhalten (am Olympiastützpunkt Freiburg wurden wohl auch nicht nur Radprofis behandelt), der offensichtlich auch andere Sportarten betrifft. Das kennt man bereits von der «Operacion Puerto», wo alles nur von den 53 Radprofis spricht, ohne nach den anderen Namen in der insgesamt wohl 200 Sportler umfassenden Kundenkartei des Eufemiano Fuentes zu fragen.

Wohlgemerkt: Der Radsport hat ein Dopingproblem, und dieses wird durch Weggucken ganz sicher nicht kleiner. Aber die Annahme, dass nur im Radsport geschummelt werde, ist Mumpitz. Der Griff zu verbotenen Substanzen ist die Folge einer Kalkulation, bei der neben dem lockenden Gewinn durch eine verbotene Manipulation auch das Risiko des erwischt Werdens eine grosse Rolle spielt. In diesem Sinne kann man der WADA nur einen langen Atem wünschen. Und den Medien, die ARD zuerst, einen Blick auf die Problematik, der weder durch Heimatschutz noch durch andere Scheuklappen verstellt ist.

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