Freitag, 18. Januar 2008

Von Fall-Rückziehern und Einsprüchen

Von der Doping- zur Medien-Affäre?

Die ARD kommt nicht aus den Schlagzeilen: Am Donnerstag Nachmittag distanzierte sich Michael Antwerpes gleich zu Beginn der Biathlon-Live-Schaltung aus Antholz in aller Form von der Berichterstattung der eigenen Dopingredaktion um Hajo Seppelt.

Knuddelonkel mit Beisshemmungen: Michael "we're so sorry" Antwerpes

«Es ist nicht vertretbar und mit unserer Berufsauffassung nicht vereinbar, wenn solche Pauschalver-dächtigungen erhoben werden, ohne dafür belegbare und nachprüfbare Fakten zu haben», sagte Antwerpes wortwörtlich zu Beginn der Live-Schaltung, und: «Wir bedauern, wenn es im Zusammenhang mit dieser Meldung zu Vorwürfen und Unterstellungen gegen Athleten gekommen ist.» Asche auf das Haupt der ARD also, welche Hajo Seppelt im Regen stehen liess. Denn dieses zumindest im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bis dato wohl einzigartige Vorgehen wurde anlässlich einer kurzfristig anberaumten Konferenzschaltung der Regionalredaktoren der ARD beschlossen.

Es ist ein einmaliger Fall in der Medienlandschaft:
Da meldet die ARD-Dopingredaktion zuerst, dass etwa 30 Sportler nach Wien zum Labor «Human Plasma» gereist seien, um dort Eigenblutdoping vorzunehmen. Zwei Drittel dieser Sportler seien Deutsche aus dem nordischen Skisport, teils der Weltelite zugehörig, erklärt Hajo Seppelt diversen Medien. Allerdings sei es noch zu früh, um Ross und Reiter – also im Klartext Namen zu nennen. Dieser Hajo Seppelt ist übrigens weder ein journalistischer Grünschnabel, noch als unverantwortlicher Hazardeur bekannt, der mit ungesicherten Fakten auf Sendung geht. Vielmehr hat er für seine Recherchen schon mehrmals Preise eingeheimst, wurde wegen seiner unbequemen Haltung in Sachen Doping aber auch seitens der ARD vom Schwimmsport abgezogen.

Die Enthüllung liess aufhorchen, zumal die ARD den nordischen Disziplinen viel Sendezeit einräumt – und die DSV-Athleten den Skandinaviern und Osteuropäern die Plätze auf dem Stockerl immer erfolgreicher streitig machen. Parallelen zu de Ereignissen im Juli 2007, als die ARD sich nach dem Bekanntwerden der positiven Trainingskontrolle von Patrick Sinkewitz aus der Live-Berichterstattung zur Tour de France zurück gezogen hatte, sind zu Beginn der ganzen Affäre nicht von der Hand zu weisen.

Prompt greifen Spekulationen um sich. Denn während die ARD mit Georg Totschnig, Michael Rasmussen, Michael Boogerd und Denis Menchov vier Radsportler namentlich beschuldigt, bleibt sie Namen zum nordischen Skisport schuldig. Dafür legt die österreichische Zeitung «Der Kurier» nach und will von Leichtathleten, Schwimmern und mindestens zwei Kickern aus Osteuropa wissen, die bei «Human Plasma» in Behandlung gewesen sein sollen. Auch ist bereits die Rede von Namenslisten. Wer sich an diesem Punkt an die «Operacion Puerto» vom Mai / Juni 2006 erinnert, liegt so falsch nicht.

Zunächst eine Doping-Geschichte nach Drehbuch
Auch die sofort in Form von Pressemitteilungen in Umlauf gebrachten Dementis der Sportler entsprachen noch dem üblichen «Drehbuch»: Über ihre Manager oder in Interviews liessen die Athleten wissen, nichts mit diesem Labor zu tun, ja den Namen «Human Plasma» noch nie gehört zu haben. So weit, so aus dem Radsport gewohnt. Doch nun enden die Parallelen: Denn anders als an der Tour de France 2007 schliesst ARD-Programmdirektor Günter Struve schon bald Konsequenzen für die Wintersport-Berichterstattung des Senders aus: «Es gibt zwar neue Dopingvorwürfe, die jedoch bisher nicht für einzelne Sportler belegt sind. Auch bei solchen Vorwürfen gilt zunächst die Unschuldsvermutung.» Merke: Noch sind nicht genügend nordische Skisportler erwischt worden, um auch bei ihnen von einer Schuldvermutung auszugehen wie bei den Radprofis. Noch…


Die öffentliche Distanzierung von der eigenen Berichterstattung ist offensichtlich die Folge von enormem Druck, der von Seiten der Verbände, aber auch der Politik gegenüber der ARD aufgebaut worden war. Das begann mit Aussagen wie derjenigen des Bundestrainers Jochen Behle, dass er für seine Athleten die Hand ins Feuer halte (ein tapferer und etwas leichtsinniger Mann, wie mir scheint). Zwar etwas weniger forsch in der Wortwahl, aber ebenso bestimmt stellten sich die Biathlon-Bundestrainer vor ihre Athleten.

Der DSV geht in die Offensive
Bereits am Mittwoch ging dann der DSV voll in die Offensive: Zuerst wurde in Abrede gestellt, dass der DSV seine Athleten zum Dopen nach Wien schicke – was angesichts der Tatsache, dass «Human Plasma» auch Filialen zB in Jena und Chemnitz unterhält, auch kaum nötig gewesen wäre. Unmissverständlich forderte DSV-Präsident Alfons Hörmann von der ARD hieb- und stichfeste Beweise für die Behauptungen. In einem nächsten Schritt drohte der DSV mit juristischen Konsequenzen. Man darf annehmen, dass die ARD vor die Wahl gestellt wurde, sich vom eigenen Redaktoren Seppelt öffentlich zu distanzieren oder selbst das Ziel einer Klagewelle zu werden.


Vom Helden zum Deppen - und wieder zum Helden? Hajo Seppelt

Mitten in die Spekulationen um Namenslisten platzt dann eine stark relativierende Aussage von Hajo Seppelt, wonach nicht gesichert sei, dass aktuelle Kaderathleten betroffen seien und es sich eher um zurückliegende Fälle handle. Eine bemerkenswerte Behauptung, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Weil dies nichts anderes hiesse, als dass die Radprofis als die vermeintlichen Vorzeigedoper den nordischen Wintersportlern bezüglich der Methoden um Jahre hinterher hinken – schliesslich handelt es sich bei den Radsportlern mit Menchov. Boogerd und Rasmussen ganz offensichtlich um aktuelle Fälle: Die drei fuhren 2007 Rennen, und das nicht ohne Erfolge.

Und nun: Alle gegen den Hajo Seppelt!
Dieses Zurückbuchstabieren half Hajo Seppelt aber auch nicht mehr weiter, denn die Schlinge um seinen Hals zog sich zu: Am Donnerstag Morgen musste man das zuvor prominent platzierte Thema «Wiener Doping-Skandal» auf der ARD-Webplattform richtiggehend suchen, am frühen Nachmittag erfolgte dann die offizielle Distanzierung aus dem Munde Michael Antwerpes. Dass dieser sich nur bei den deutschen Wintersportlern entschuldigte, zeigt deutlich, woher der Druck zum Dementi kam. Die namentlich angeschwärzten Radprofis warten noch auf eine ähnlich geartete Geste des ARD.

Wer nun meint, dass die öffentliche Distanzierung der ARD bereits Strafe genug für Hajo Seppelt sei , der irrt. Offensichtlich will der DSV diesen unangenehmen Schnüffler zum Schweigen bringen – und hält an der Klage gegen die Privatperson Seppelt fest. Zugleich stellt der DSV-Sprecher Stefan Schwarzbach zufrieden fest: «Aus der angeblichen Doping-Affäre ist jetzt mehr oder weniger eine Medienaffäre geworden. Wir haben uns auch deshalb vorbehalten, jetzt rechtliche Schritte einzuleiten gegenüber den verantwortlichen Redakteuren, wohlgemerkt nicht gegenüber der ARD.» Auch der Bundestags-Abgeordnete Dankert und Innenminister Schäuble äussern sich besorgt darüber, dass pauschale Verdächtigungen dem Sport Schaden zufügen könnten.

Also: Brave ARD, braver Antwerpes, böserböser Seppelt!
Alles geregelt, alles gedeckelt und unter den Tisch gekehrt? Das hat sich der DSV wohl etwas zu einfach vorgestellt, trotz des Dementis des österreichischen Sport-Staatssekretärs Reinhold Lopatka, der per Brief meldete: «Derzeit liegt kein Beweis vor, dass österreichische Athleten oder ein Athlet irgendeines anderen Landes Blutdoping vorgenommen oder gegen irgendein anderes österreichisches Gesetz verstoßen haben.» Denn einerseits ist nicht nur die ARD an diesem Thema dran. Auch die «Süddeutsche Zeitung», das ORF sowie die österreichischen Blätter «Der Kurier», «Der Standard» und die «Oberösterreicher Nachrichten» recherchieren. Und weil der DSV mit denen keine hochdotierten Verträge und darum kein Druckmittel hat, geben diese auch keine Ruhe. Und andererseits taucht mit dem schwedischen Mediziner Bengt Saltin ein gut informierter FIS-Insider auf, der von aktiven Biathleten wissen will, die in drei verschiedenen Labors in Österreich Blutdoping betreiben. Saltin geht davon aus, dass bald Namen bekannt werden.

Also heisst es, wie so oft: Empörungs-Level zurück schrauben, Beine hochlagern und abwarten. Denn hinter den Kulissen wird weiter ermittelt, und die WADA macht erheblichen Druck. Unter diesen Rahmenbedingungen ist Eindeckeln weder eine praktikable noch eine realistische Handlungsstrategie. Darum ist gut möglich, dass am Ende die ARD sich von der eigenen Distanzierung distanzieren muss und der DSV im Regen steht – nicht wegen systematischem, vom Verband organisiertem Doping, sondern wegen des Fehlverhaltens einzelner Athleten. Ob Jochen Behle dann allerdings Wort hält und sich eine Hand grillen lässt, von wegen Hand ins Feuer legen und so? Ich bezweifle es. Ob dem Seppelt dann als Kompensation für die Zivilklagen weitere Auszeichnungen winken? Es ist anzunehmen. Und spätestens dann wird sich auch die ARD wieder im Glanze ihres Enthüllungsjournalisten sonnen. Bis dann hat Antwerpes Oberwasser, als unkritischer Knuddelonkel, dem nie ein böser Verdacht über die Lippen käme.

PS: Die jüngste Entwicklung gibt Anlass zur Hoffnung. Anders als Antwerpes distanziert sich «Tagesschau»-Chefredakteur Kai Gniffke weder vom Wortlaut der entsprechenden Meldung in seiner Sendung noch von der Person Hajo Seppelts: Dieser recherchiere zur Zeit im Auftrag des WDR in Wien.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, und die Medien sind frei. Auch wenn das manchen Herrschaften im DSV nicht passen dürfte.

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