In Sachen Produktion spielt Taiwan im Fahrrad-Business schon lange eine zentrale Rolle. Zunächst nur als Ort, wo man billig und in Massen produzieren konnte, aber das hat sich im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts bereits markant geändert. Es gibt heute kaum noch eine Fahrrad-Marke mit grossem Namen, der nicht auf der Insel produzieren lässt – mal abgesehen von der Sparte «klein, fein und auf Massarbeit spezialisiert». Als Absatzmarkt war Taiwan aber noch bis in die jüngste Vergangenheit vernachlässigbar.
Im vergangenen Dezember fielen mir denn auch weit mehr kuriose Gefährte auf, die man sich so in Europa nie vorstellen könnte: Falträder mit einem Kinder-Zweitsitz zwischen Sattel und Lenker und einem gepolsterten Gepäckträger, um zwei Kinder transportieren zu können, und dergleichen.
Nun muss man auch sagen, dass der Dezember so ungefähr der kühlste Monat in Taiwan ist, mit Temperaturen zwischen 18 und 25 Grad. Nun, im März, schnellt das Thermometer oft über die 30 Grad, was schon einmal mehr Radler ins Freie lockt.
Aber die jahreszeitliche Schwankung allein taugt noch nicht als Erklärung, denn laut Giant-Boss Tony Lo ist Taiwans Heimmarkt für Fahrräder in den vergangenen 18 Monaten um stolze 60 Prozent gewachsen. Dafür haben verschiedene Entwicklungen gesorgt: Erstens ist viel in die Infrastruktur für Fahrräder investiert worden – auch wenn Radeln in Taipeh’s Verkehr noch immer eine Mutprobe und eine mutwillige Eigengefährdung zugleich ist.
Mit Plakaten wie diesem wird das Leihrad-Angebot unters Volk gebracht.
So sind Fahrradspuren markiert und an Kreuzungen spezielle Ampeln angebracht worden, und auch die U-Bahn bietet nun markierte Fahrrad-Plattformen. Die wohl spektakulärste Investition betrifft das Projekt «Taipeh Cycling», das bereits bei meinem ersten Taipeh-Besuch im Dezember in aller Munde, aber noch nicht umgesetzt war.
Dabei geht es um ein bargeldloses Ausleih-System für Stadträder, die an bestimmten, stark frequentierten Metro-Stationen bereit stehen – vergleichbar den Vélib-Rädern in Paris. Um eins der Räder ausm Ständer zu bekommen, braucht man eine Abokarte von Taipeh’s öV. Nicht dass diese Räder besonders attraktiv wären, aber sonst würden sie bloss geklaut, und ein tiefer Wartungsbedarf hat bei diesem Konzept Priorität.
Doch auch in den Köpfen der Taiwanesen hat ein Umdenken stattgefunden, was diese selbst gerne unter dem Akronym «LOHAS» zusammenfassen – dem «Lifestyle of Health and Sustainability». Fahrradfahren gilt nun nicht mehr als Stigma armer Leute, die sich weder Auto noch Scooter leisten können, sondern es ist die smarte, weil flexiblere und effizientere Methode, um schnell von A nach B zu kommen.
Der Fitness-Aspekt scheint mir angesichts der Feinstaub-Konzentration in Taipehs Luft eher zweitrangig, spielt für die Taiwanesen aber sehr wohl eine zentrale Rolle. Während viele Einheimische auf relativ simplen, aber sichtlich neuenn Falträdern unterwegs sind, habe ich in den vergangenen Tagen auch immer wieder sauschöne und edle Räder entdeckt.
So standen gestern drei Jungs um halb Zwölf nachts vor einem 7-11-Store, ihre Räder ans Schaufenster gelehnt. Und was das für Räder waren: Das schlichteste war noch ein pechschwarzes Centurion «Backfire LRS», mit kompletter XT-Gruppe. Nochmals eine Ecke edler war das «Trance X0» von Giant, das daneben stand und mit lauter XTR-Teilen ausgestattet war.
Den Vogel schoss aber das dritte Bike ab: Ein mattschwarz eloxiertes «Helius CC» von Nicolai, mit Magura-Federgabel und 4-Kolben-Bremsen von HOPE. Holy cow, das hätte ich in Taiwan zuletzt erwartet! Leider sprachen die drei kaum Englisch, so dass wir nicht wirklich ins Gespräch kamen.
Keine Stunde zuvor waren mir am Rande des grössten Strassenmarktes von Taipeh (der einen eigenen Blog-Eintrag verdient hat) zwei Jungs in Rennrad-Klamotten aufgefallen, und auf der Suche nach ihren Fuhren stiess ich auf zwei masssiv gepimpte Micro-Racer, wie sie Asiaten lieben. Dabei handelt es sich um Falträder mit 20-Zoll-Laufrädern, die mit schmalen Slicks, Rennrad-Lenker, -Sattel und –Kurbel voll auf Sportgerät getrimmt werden. Sogar der nicht eben billige Garmin-Fahrradcomputer mit GPS-Funktion durfte nicht fehlen. Sehr cool.
Wenn in anderen Ländern der Region ein vergleichbarer Trend einsetzt, darf man aufatmen. Denn wenn die Milliardenmärkte China und Indien sich wie die ach-so-entwickelte Erste Welt ganz auf den motorisierten Individual-Verkehr verlassen würden, hätte das Weltklima nochmals ein Problem in einer ganz anderen Dimension als der, vor der Al Gore mit leichter Verspätung gewarnt hat. Mich freuts, was ich sehe, fürs Klima wie für den kleinen Materialfetischisten in mir.
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