Sonntag, 29. November 2009

Faust im Sack – Brett vorm Kopf

Es ist grau. Und Sonntag. Ein grau(enhaft)er Abstimmungssonntag. Denn die Annahme der Minarettsverbots-Initiative zeichnet sich ab. Herr und Frau Schweizer erweisen sich einmal mehr als die Meister der Faust im Sack.

Die Minarettverbots-Initiative bot den Stimmberechtigten mal wieder die Möglichkeit, aus dem Schutz der Anonymität (geheime Stimmabgabe) ihrem Unbehagen über das Fremde Ausdruck zu verleihen. «Das Fremde» sind in diesem Fall Minarette als sichtbares Beleg für die Anwesenheit der muslimischen Gemeinde in der Schweiz. Und deren Bau soll durch einen Zusatz in der Verfassung im ganzen Land verboten werden.

Wohlgemerkt: Bisher stehen in der Schweiz keine 5 Minarette, und diese noch nicht einmal an repräsentativen Standorten, sondern meist an verkehrsumtosten Standorten in Gewerbezonen. Für den rechten Rand des politischen Spektrums um SVP, EDU und Lega kein Grund, auf eine alarmistische Verbotsinitiative zu verzichten, welche vor allem ein Ziel verfolgt: Muslime in der Schweiz auszugrenzen, so diese sich nicht komplett assimilieren wollen.

Das Fremde als Bedrohung
Dass es den Initianten nur ganz am Rande um den Bau von Minaretten als vermeintlichen «Machtsymbolen eines politischen Islams» (O-Ton der Initianten) geht, verrieten die Diskussionen im Vorfeld der Abstimmung: Da ging es um die Unterdrückung der Frau im islamischen Kulturbereich (ein Thema, bei dem sich die SVP zumindest auskennt, denn diese Partei bekämpft alle Massnahmen, welche die Frau von Kinder, Küche und Kirche weg zu einer selbständgen Gestaltung des Lebens führen könnten), um Kopftuch, Schleier und Burka, um die drohende Einführung der Scharia und islamistische Parallelgesellschaften und Hassprediger.

Kurzum: Acht Jahre nach 9/11 mussten die Muslime in der Schweiz als Feindbild hinhalten. Das alles könnte man als Episode abtun, wenn die Initiative deutlich verworfen worden wäre. Aber leider kommts anders: Herr und Frau Schweizer wollten diesen Muslimen (die zu gut 90% als Billig-Arbeiter ins Land kamen und deren Kinder die Schweiz vor kurzem in Nigeria zum U17-Weltmeistertitel im Fussball geschossen haben) Kraft ihres Stimmzettels mal wieder zeigen, wer Chef im Schweizerhaus ist.


Ist die Initiative auf Gesetzesstufe umsetzbar?
Dass diese Machtdemonstration nicht dazu geeignet ist, die Integration der Muslime in der Schweiz zu erleichtern, ist eine Sache. Genauso wie der Eingriff in die Gemeindeautonomie - denn Bauzonenordnungen liegen ansonsten in der Kompetenz der Gemeinden. Dass nun eine Ungleichbehandlung verschiedener Religionsgemeinschaften in die Verfassung eines laizistischen Staates geschrieben werden soll, die an sich Kultfreiheit und eine Gleichbehandlung aller Gemeinschaften vorsieht, ist eine andere Sache. Gespannt darf man zudem sein, wie islamistische Hardliner in Ländern wie Pakistan auf die Kunde des Minarettverbots reagieren.

Sollte es dort zu Ausschreitungen kommen, werden diese von den Initianten zweifellos wieder als Beleg für die gewaltbereite Natur des Islams und seiner Anhänger ins Feld geführt werden. Zu unguter Letzt erinnert die Annahme der Initiative an Max Frischs Diktum «Man holte Arbeitskräfte, aber es kamen Menschen.» Und mit den Menschen deren Kultur – und deren Religion. Anders als deren billige Arbeitskraft scheint die aber nicht willkommen.

Ein später Triumph für den Schwarzenbach-Sekretär Schlüer. Und ein Armutszeugnis für die Stimmberechtigten in der Schweiz.

PS: Die Annahme der Initiative erfolgte nach meiner Beobachtung überall dort besonders deutlich, wo man Muslime nur aus den Medien und der Abstimmungspropaganda der Verbots-Befürworter kennt. Und das ist es, was mich am nachdenklichsten stimmt. So sagten in Appenzell Innerrhoden (wo das Stimmrecht für Frauen anfangs der 90er Jahre vom Bundesgericht erzwungen werden musste) unglaubliche 71.4% der Abstimmenden ja zu dieser Vorlage.

PPS: Sollten gewisse junge Fussballer, etwa Haris Seferovic, nach Annahme dieser Initiative weniger Lust verspüren, weiter für die Schweiz gegen den Ball zu treten, wäre ich nicht überrascht. Viele der Stimmberechtigten, die soeben den Muslimen an der Urne eine Ohrfeige verpasst haben, würden aber mit Garantie empört aufheulen. Sollen sie.

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