Dienstag, 8. Dezember 2009

Von Gespenstern, Totengräbern und miesem Stil

Auf dem Rückweg von einer Sitzung bei der bfu in Bern stach mir gestern Abend das Cover der aktuellen Ausgabe der Weltwoche ins Auge. So viel vorweg: Roger Köppel dreht am Rad – und wirft dabei jeden Anstand über Bord.

Schon im Vorfeld der Ersatzwahlen für Samuel Schmid machte die Weltwoche als SVP-Kampfpostille mit einem reisserischen «Verschwörung gegen die Schweiz» auf, illustriert mit den Portraits von zehn der Weltwoche (und damit der SVP, und umgekehrt) missliebigen, weil mutmasslich für die Abwahl des heiligen Christoph aus dem Bundesrat verantwortlichen Politikern. Dass die Portraits in Stil und Anordnung daher kamen wie RAF-Fahndungsplakate unseligen Angedenks, war wohl seitens der Weltwoche nicht ganz unbeabsichtigt. Her mit dem heissen Herbst, oder so ähnlich.

Im Nachgang der Abstimmung zur Minarett-Initiative schickt sich nun Roger Köppel an, dem begriffsstutzigen, urbanen und weltoffenen Teil der Schweizer Bevölkerung die Demokratie zu erklären. Bereits am Abend nach der Abstimmung meinte er süffisant, es gehe ein Gespenst um, und dieses heisse Demokratie. Bloss: Ist es Demokratie, wenn eine Mehrheit etwas entscheidet, was in Konflikt sowohl zur Europäischen Menschenrechtskonvention wie zur eigenen Verfassung steht – und sich darum kaum wird umsetzen lassen? Ist es Demokratie, wenn dem Volk eine Entscheidungsgewalt suggeriert wird, die es so nicht hat?

Roger Köppel geht noch weiter, denn auf dem aktuellen Cover der Weltwoche sind wieder Portraits von Politikern zu sehen, mit denen Köppel das Heu nicht auf der gleichen Bühne hat. Dazu in fetten Lettern die Worte «Totengräber der Demokratie». Der Hintergrund: Die Gegner des Minarettverbots wollen das Verdikt so nicht hinnehmen. Und überlegen sich, mit einer Initiative die Aufhebung desselbigen zu verlangen oder das Verbot vom Europäischen Gerichtshof prüfen – und wohl auch kippen zu lassen. Für Köppel Grund genug, schon auf der Titelseite seiner Postille zu einer veritablen Hatz auf andersdenkende zu blasen.

Mit Verlaub: Die Sicht Köppels und der SVP, wonach das Schweizer Volk der Souverän und dieses in seinen Entscheidungen komplett frei sei, ist so nicht haltbar. Das hat mit Demokratie sehr wenig, dafür mit Populismus und Willkür umso mehr zu tun. Wie bei der Monarchie gilt auch bei der Demokratie: Wenn sie weder an eine Verfassung noch an Kontrollmechanismen gebunden ist, wird sie zur absoluten Demokratie, zur Herrschaft der Mehrheit, ohne Rücksicht auf und durchaus bewusst auf Kosten von Minderheiten. Und dann wird’s sehr schnell sehr unappetitlich.

Nun ist die SVP schon länger der Meinung, dass nichts über dem Verdikt des Volkes zu stehen habe. Und daher lanciert (oder unterstützt) diese Partei auch wiederholt Initiativen, die sich nicht nach dem Willen der Initianten umsetzen lassen, ohne wesentliche Grund- oder Menschenrechte anzutasten. Das war schon bei Verwahrungsinitiative der Fall, und das ist nun bei der Minarett-Initiative nicht anders. Dies hat durchaus System, denn als Verfechterin des Isolationismus sind der SVP internationale Verpflichtungen und Verträge ein absoluter Gräuel. Egal ob EMRK, UNO-Kinderschutzkonvention oder was auch immer.

Prompt ertönte nach dem Ja zur Minarett-Initiative seitens der SVP die Forderung, nun die EMRK zu kündigen. Mit Verlaub, liebi Froue und Manne: Nach einem solchen Schritt fände sich die Schweiz im gleichen Boot mit Serbien und Russland. Das letzte Land, welches die EMRK von sich aus gekündigt hat, war übrigens Griechenland – nach dem Militärputsch Ende der 60er Jahre. So lange in der Schweiz weder das Militär noch die AUNS putschen und die Hatz auf köppel’sche Totengräber der Demokratie nur aufm Papier stattfindet, scheint mir ein solcher Schritt ebenso übereilt wie unüberlegt.

Intelligenter Provokateur - oder Lohnschreiberling der reaktionären Rechten?

Der schrille Ton der Köppels, Fehrs, Schlüers und Toni Brunners macht aber eines deutlich: Auch diesen Herrschaften ist klar, dass die Umsetzung der Minarett-Initiative ihre Tücken hat. Und dass diese vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof kaum Bestand haben dürfte, weil sie gegen das (in der Schweizer Verfassung verbriefte) Diskriminierungsverbot verstösst. Also wird schon einmal auf Vorrat Stimmung gemacht. Dass dies auf der Titelseite einer Zeitung geschieht, ist bemerkenswert, zumal in diesem schrillen Ton. Von Trennung von Nachricht und Kommentat respektive Meinung keine Spur, vom verfehlten Tonfall mal ganz zu schweigen.

Herrn Köppel ist zu wünschen, dass er sich nicht plötzlich von dieser Kampagne distanzieren muss, weil jemand sich dazu aufgefordert gefühlt hat, etwas gegen die als Totengräber der Demokratie verunglimpften zu unternehmen. Die Büchse der Pandora hat Köppel geöffnet, fraglich ist bloss, welche Folgen dies hat.

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