Man nehme einige Extrembeispiele (in Signers Fall das Kamikaze-Mami mit Kinderanhänger und Kind, die derselbe Autor schon am 25. Oktober 2009 einmal in einer Story brachte – ist das nun Extremfall-Recycling?), füge dazu Vorurteile und höchst subjektive Erfahrungen sowie eine zugegebenermassen nachdenklich stimmende Statistik: So etwa könnte das Kochrezept für die Signer’sche Breitseite gegen die Velofahrer in der Stadt Zürich lauten. Dass Signer damit nur Gräben weiter vertieft und einer frustrierten Autoklientel nach dem Mund schreibt, sei ihm unbenommen.
Da online noch nicht verfügbar, muss ein Scan des Artikels von David Signer reichen.
In einigen Punkten ist aber eine Korrektur der Signer’schen Schilderung angebracht. So meint er, kein anderes Verkehrsmittel verfüge über eine derart starke Lobby wie das Velo, und führt als Beweis für diese eher gewagte Behauptung die (übrigens höchst erfreuliche) Wahl Daniel Leupi’s in den Stadtrat an. Wenn also nach Jahrzehnten weitgehender verkehrspolitischer Dominanz meist bürgerlicher, mit dem TCS oder dem ACS verbandelter Politiker nun erstmals ein Velo-Lobbyist in die Exekutive der grössten Schweizer Stadt gewählt wird, soll dies schon als Beleg für ein erfolgreiches Lobbying-Powerplay der Velofahrer taugen? Eine bemerkenswerte Sichtweise.
Auch das ist (Velofahrer-)Realität: Der Velostreifen als Kurzzeitparkplatz und Flanierzone.
Läppisch ist auch Signers Empörung über die Mittel, die für den Bau von Velowegen bereit stehen: Allein im Kanton Zürich sollen im kommenden Jahr neben den ohnehin budgetierten 15 Millionen Franken weitere 20 Millionen dafür verwendet werden. Bloss: Diese 20 Millionen Franken werden auf die kommenden 10 Jahre verteilt, was Signer glatt unterschlägt. Zudem setze man die Summe mal bitte in Relation zum Budget für den Bau und Unterhalt von Strassen auf Kantonsgebiet. Die entsprechende Zahl ist wegen der geteilten Zuständigkeit von Bund, Kantonen und Gemeinden nicht so einfach zu eruieren, aber man darf getrost von einem Vielfachen der oben genannten Beträge ausgehen. Bloss dass sich darüber kein Signer dieser Welt aufregt.
Besonders heikel für Velofahrer: Autotüren, die im dichten Verkehr aufgeschmissen werden.
Richtig ärgerlich ist, dass Signer sich in fragwürdiger Weise Schubladendenkens bedient und sämtliche Velofahrer als arrogante, selbstgerechte Weltenretter darstellt, die sich um die Regeln im Strassenverkehr foutieren und dabei bewusst Fussgänger gefährden. Mit Verlaub: Ich fahre nicht auf Trottoirs und nutze mit dem Velo auch keine Fussgängerstreifen, um Strassen zu überqueren. Auch auf eine minimale Beleuchtung achte ich aus purem Selbsterhaltungstrieb.
Bei Leuten, die auf Trottoir oder Fussgängerstreifen radeln, handelt es sich nach meiner Beobachtung meist um ungeübte Velofahrer, verunsichert vom dichten Verkehr. Den Druck der Blechkarrossen geben solche Fahrer leider an die Fussgänger weiter, wenn sie auf Trottoirs und Fussgängerstreifen ausweichen. Das gemahnt an einen für totalitäre Staaten essentiellen Untertanen-Mechanismus, gegenüber Stärkeren den Bückling zu machen und den Druck an die Nächstschwächeren weiter zu geben. Nach oben buckeln, nach unten treten.
Haltelinien überfahren, Vortritt missachten: Alltag aus Sicht der Velofahrenden, Herr Signer.
Da ziehe ich es vor, mich selbstbewusst und schnell, aber unter Beachtung der Regeln auf der mir zugedachten Fahrbahn fortzubewegen. Klar zeig ich ab un an unfähigen Automobilisten (zu denen auch Signer nach eigener Schilderung zu gehören scheint, ansonsten kann ich mir nicht erklären, warum er als Automobilist so oft unerfreuliche Begegnungen mit Velofahrern hat) wahlweise den Stinkefinger oder brüll ihnen ein herzhaftes «Arschloch» hinterher, wenn sie durch ihr gedankenloses Tun oder schiere Rücksichtslosigkeit meine Gesundheit gefährden. Und das kommt leider öfter vor, als mir Lieb sein kann.
Unterm Strich kann Signers Artikel leider nur als wohlfeile, aber inhaltsarme Polemik taxiert werden, welche Vorurteile gegen Velofahrer wiederholt und Gräben vertieft. Ein Beitrag zur Verbesserung des miesen, auf Besserwisserei, Selbstgerechtigkeit und Rücksichtslosigkeit basierenden Verkehrsklimas in der Stadt Zürich ist der Artikel mitnichten. Chance verpasst, Herr Signer. Dabei liesse sich nicht nur ökologisch und aus Gründen der Volksgesundheit, sondern auch ökonomisch bestens für das Fahrrad argumentieren, von den tiefen Betriebskosten über die Tatsache, dass kaum ein anderes Verkehrsmittel einen in der Stadt so schnell von A nach B bringt, bis zum schonenden Umgang mit dem knappen Gut Strassenraum. In Zeiten grünliberaler Erdrutschsiege wäre das ein höchst hipper, ökonomisch und nicht ideologisch orientierter Ansatz gewesen.
Immerhin: Einigen frustrierten Blechkutschern wird David Signer mit seinem Artikel den Sonntag Morgen versüsst haben – und das ist ja auch schon etwas. Wenn auch kaum einer Zeitung wie der NZZ am Sonntag würdig, die mit dem Anspruch angetreten ist, bekannte Probleme auf unkonventionelle Art und Weise abzuhandeln. Denn durch die stete Wiederholung wohlfeiler Feindbilder wird das Verkehrsklima in Zürich kein bisschen besser.
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