Montag, 11. Februar 2008

Von Mörgele, Mengele und anderen Gestalten

Es rauscht im Sonntagsblätter-Wald: SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli hat die Diskussion um den couchepin’schen Wortverdreher «Mörgele» weiter angeheizt, indem er Abschriften des Tonband-Protokolls der Kommissionssitzung verschiedenen Zeitungen zuspielte.

Die Staatsaffäre begann verhältnismässig harmlos:
In einer Debatte in der Parlamentskommission für Bildung und Forschung wurde im Beisein von Bundesrat Pascal Couchepin über die Forschung am Menschen diskutiert. Christoph Mörgeli verliess diese Sitzung, und kurz darauf meldete sich Couchepin zu Wort, um für klare gesetzliche Leitplanken für die Forschung am Menschen zu plädieren. Dabei wollte er auf den Archetypen des gewissenlosen Arztes und Forschers verweisen, den Auschwitz-Lagerarzt Joseph Mengele.


Joseph, berühmtester Spross der süddeutschen Industriellen-Familie Mengele.

Aber nun kam Couchepin nicht nur sein begrenztes Wissen bezüglich historischer Fragen in die Quere, sondern auch der Name des kurz zuvor abgereisten SVP-Nationalrats. Und so wurde aus Mengele flugs «Mörgele» - und die verschlafene Schweiz hatte ein politisches Skandälchen. Die politische Rechte jaulte mediengerecht auf und eilte ihrem obersten Wadenbeisser Mörgeli zur Hilfe: Couchepin’s Aussage sei eine Schweinerei und mitnichten ein Versprecher, der Walliser somit als Bundespräsident untragbar. Er möge doch endlich zurück treten.

Zähnefletschend wider Linke, Nette und Heimatmüde
- und gegen Ausländer sowieso: Mörgeli im Element.

Mörgeli selbst besichtigte zufällig gerade eine KZ-Gedenkstätte und konnte somit an passender, quasi politisch korrekter (und massgeschneiderter) Stelle seiner Empörung darüber Ausdruck verleihen, dass Couchepin mit diesem ungeheuerlichen Vergleich nicht so sehr ihn beleidigt, sondern das Ansehen der Opfer Mengeles in den Dreck gezogen habe. Eine bemerkenswerte Aussage für einen der prominentesten Gegner des Antirassismus-Paragraphen. Auch aus anderen Parteien kam die Aufforderung an Couchepin, sich für seine Aussage zu entschuldigen – was dieser nur halbherzig tat. Er sprach von einem Versprecher und Missverständnis und bedauerte, dass er falsch verstanden worden sei.

Couchepin, wie er sich gerne sieht: Jovial bei einem Glas Weissen in seinem Wallis.

Nun hätte man es dabei belassen können, wenn nicht zwischen dem selbstbewussten Couchepin als einem der letzten Freisinnigen, welche vor der SVP noch Rückgrat zeigen, und den Granden der SVP eine ausgeprägte Antipathie bestünde. Denn Couchepin hatte im Vorfeld der Nationalratswahlen 2007 auch den Nerv gehabt, den Personenkult um den abgewählten Bundesrat Christoph Blocher mit dem Duce-Kult in Italien zu vergleichen. Schon damals hatte die SVP aufgejault, vehement gegen diesen Vergleich protestiert – und dennoch die ganze Schweiz mit dem Konterfei ihres Maximo Lider zugekleistert.

Personenkult pur im Herbst 2007: Der Abzuwählende grinste von allen Plakatwänden

Statt dessen hat nun also Christoph Mörgeli höchstselbst Abschriften des Tonband-Protokoll der entsprechenden Kommissionssitzung gefertigt und verschiedenen Medien zugespielt. Und verlauten lassen, er fühle sich nicht mehr an das Sitzungsgeheimnis gebunden, weil Couchepin ja seine Sicht der Dinge schon publik gemacht habe. Ob man dies Mörgeli so durchgehen lassen soll, ist fraglich. Ich meine: Ganz sicher nicht, sonst brechen die Dämme.

Die Vertraulichkeit der Kommissionssitzungen ist ein zu wichtiges Element einer Verhandlungsdemokratie, als dass man sie Mörgeli’s Drang zur Selbstdarstellung opfern sollte. Denn im kleinen Kreis der Kommission kann nach Kompromissen sondiert werden, die im Plenum der Reinheit der Lehre (Leere?) zu Liebe nicht einmal in Betracht gezogen werden – die Kameras laufen ja mit, und man will nicht als Wischiwaschi-Politiker dastehen, sondern Klartext reden. Auch wenn dies der zu erörternden Thematik nicht gerecht werden sollte.


Nicht Mengele, Goebbels wäre passend
Abgesehen davon ist festzustellen, dass es selbstverständlich verfehlt war von Couchepin, Mörgeli in die Nähe von Mengele zu rücken. Wenn schon hätte Couchepin von einem «Herrn Mörgoebbeli» reden müssen. Denn Mörgeli selbst sieht sich als Propagandist – und sondert immer wieder Ungeheurlichkeiten ab, begleitet von einem zuckersüssen Lächeln. Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass Lächeln eine Form des Zähnefletschens ist.


Bis heute mit dem Begriff Propaganda fast identisch: Joseph Goebbels

Frei nach Goebbels könnte Mörgeli in den Albisgüetli-Saal brüllen: «Wollt Ihr die totale Opposition? Wollt Ihr sie totaler, als Ihr sie Euch jemals vorstellen könnt?» Die berühmt-berüchtigte Sportpalast-Rede des Herrn Reichspropaganda-Ministers lässt grüssen. Und dessen teils doch arg verzerrte Sicht der Welt passt genauso zu Mörgeli wie die glühende Verehrung eines Führers. Mit dem klitzekleinen Unterschied, dass Mörgeli’s Führer noch abgewählt werden konnte, ehe der Schaden angerichtet war.

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